Der Beitrag wurde am 03.07.2018 ins Netz gestellt. ANISA für das Internet. 2018 (ANISA, 19. Jg. Rubrik Kunst)

 

 

Bernhard Hebert gewidmet

 

Der Fund einer Sennerin

Eine Scherzkarte aus dem Jahr 1908

von Franz Mandl

mit der Transkription von Herta Mandl-Neumann und Martin Parth

  

Scherzkarten gab es bereits in vielfältiger Art und großer Zahl um 1910. Ein gerne versendetes Thema war auch der alpine Lebensraum. Der Wanderer begegnete auf den Almen den dort arbeitenden Almleuten. Die „schöne Sennerin“ war eine erotische Herausforderung, die sich durch ironische Abbildungen in einer prüden Gesellschaft behaupten konnte.

 

 Der Fund einer Sennerin

Postkarte. Adressseite mit Vordruck. Rückseite selbst gestaltet. Haupttext in Kurrentschrift geschrieben. 14 x 9 cm. Privatsammlung.

  

Unsere Karte, die mit 6.1.1908 datiert ist, ist ein kleines, eigenhändisch gezeichnetes Unikat. Ein kleines Kunstwerk, das vorgibt einen archäologischen Fund abzubilden. Die vorgeblich auf einer Steinplatte gezeichnete Sennerin, die für die damalige Zeit ein etwas zu kurzes Dirndlkleid trägt, lächelt den Betrachter an. Wie beiläufig betätigt sie ein Stoßbutterfass, im Volksmund auch Rührkübl genannt. Die Steinplatte weist bereits viele Sprünge auf, was wohl ein besonders hohes Alter belegen soll. Die Inschrift im unteren Bereich lautet:

 

Dira: pellis anno an casa v:

cupit des ista quis nix neu S.

vas acti lenit avo ? eris casa Si

aper casa R: in

unda milia par M : ass tua Z: ubi

venter cici Lar is : Fac : L Musa

vita. N.

Diese pseudolateinische Inschrift besteht aus einem Mix von verschiedenen Spracheinflüssen und ermöglicht keine klare Übersetzung. Anzunehmen ist, dass es sich um eine scherzhafte Geheimsprache zwischen dem Schreiber an dem Adressaten handelt. Diese soll vorgeben, dass eine wichtige archäologische Entdeckung, deren Erforschung noch aussteht, vorliegt. Vielleicht wollte der Schreiber und Zeichner mit diesem Bild einen Kollegen aufheitern. Der Text des Schreibens würde jedenfalls darauf hinweisen:

 „R. 6. I. 08.

L. F! L. Karte erhalten; auch Simerl, qui quintum puerum expectat, wie er uns gestern beim Flötz. bei der 6. Halbe mitteilte, erhielt Deine Karte. Seit Donnerstag sehr schönes, aber ungemein kaltes Wetter bei wenig Schnee in der Ebene, feine Rodelbahn hergestellt im „Landl“, eine solche könnte auch ich noch benutzen [Griechisch]1. Brünstein u. die übrigen Berge, die nicht einmal mehr im Winter „ausdampfen“ können, wimmeln von Rodlern und innen; vor 30 Jahren hätte man so etwas nicht für möglich gehalten. Gusti ist am Donnerstag mit Mutter wieder nach Regensburg gefahren bis Ostern, ging sehr gern +) hin. Links oben sehr interessanter Fund, gefunden an der berühmten Fundstätte Säihuam, allwo Rappel cum avec weilt, es scheint eine Szene aus dem Landleben zu sein. Prof. Dr. Bierhuber, Büffler, Streusand und Spinnober stimmten in der Auslegung nicht überein und liegen sich scharf in den Haaren. – Sonst nichts Neues. Herrliche, elektrisch beleuchtete Eisbahn! Wann kimpst? Mit herzlichen. Grüßen an alle! August, Fanny, Simerl u. is!“

Zweifellos entstand diese Zeichnung von geübter Hand. Die lateinischen und griechischen Elemente im Text belegen eine universitäre Ausbildung. Des Weiteren erwähnenswert ist die elektrische Beleuchtung der Eisbahn und des Brühnsteins, eines 1634 m hohen Berges in den Bayerischen Voralpen. Und für die Germanisten und -innen unter den Lesern sind die "Rodler und -innen" erwähnenswert. Ein früher Beleg für das Gendern.

 

1)  Phonetisch „kai fany“, damit ist wohl gemeint, dass „auch Fany“ dabei war.

 

 

Bildnachweis: alle Fotos vom Autor

 

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