Gletscher im Wandel der Zeit
Dachsteingletscher
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus:
Der Schladminger Gletscher im Wandel der Zeit
In: Da schau her. Die Kulturzeitschrift aus Österreichs Mitte. 20 (1999) H. 4, S. 34ff.
© Franz Mandl, Oktober 1999
Auf dieser Karte ist der Schladminger Gletscher noch größer als der Gosauer Gletscher eingezeichnet.
Ausschnitt: Karte der Salzburger-Alpen und des Salzkammergutes von Ludwig Ravenstein (Karte der Ostalpen Blatt II.) 1886
Auf dem Stein
Das Dachsteingebirge erreicht eine Seehöhe von 2995 m. Über Jahrhunderte
hinweg wurden die Hochalmen auf der östlichen Dachsteinhochfläche von Bauern aus der an
deren Südabhang gelegenen Ramsau bewirtschaftet. Diese Almen liegen zwar auf
oberösterreichischem Gebiet, sind aber großteils von der Ramsauer Seite aus schneller
erreichbar. Außerdem stand durch die Naturalabgaben, die die steirischen Bauern für die
Nutzung der Almen entrichten mussten, ein breiteres Angebot an Nahrungsmittel für die
Hallstätter Knappen zur Verfügung. Seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die
Hochalmen auf dem Stein immer weniger genutzt, und im 20. Jahrhundert wurde die
Almwirtschaft dort völlig aufgelassen. Nur noch Schafe weiden auf den grünen Inseln im
Karst des Steins. Von der 2004 m Sh. hoch gelegenen Modereckalm aus sieht man heute den
Rest des Schladminger Gletschers, der noch zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als
Ramsauer Gletscher bezeichnet wurde.
Friedrich Simony
1840 kam Friedrich Simony erstmals auf das Dachsteinplateau und begann mit
der Erforschung der Geomorphologie und der acht Gletscher des Dachsteingebirges. Diese
Feldforschungen führte er bis 1890 durch und bestieg damals 77jährig zum letzen Mal den
Dachsteingipfel. Die Krönung seiner Arbeit war schließlich sein Buch Das
Dachsteingebiet, das 1895 erschien. Simony dokumentierte den Schladminger Gletscher der
als Kar-Karstgletscher bezeichnet wird mehrfach - sowohl mit Bleistiftskizzen als auch mit
Aquarellen und Fotografien.
Der Schladminger Gletscher
ist neben dem Hallstätter Gletscher und dem Gosaugletscher der
drittgrößte Gletscher des Dachsteingebirges. In der Zeit um 1850 betrug seine Eisfläche
laut Friedrich Simony knapp 199 Hektar. Anhand von modernen Kartenmaterialien, den
Endmöränen von 1850 und Simonys Bild von 1840 können wir für diese Zeit aber eine
Fläche von etwa 3, 2 km² annehmen. In diese Flächenangabe sind auch die Eisflächen
zwischen Mitterstein (2417 m Seehöhe) und Gjaidstein (2794 m Seehöhe) einbezogen worden.
Der Gletscher wies damals nach Simonys Angaben eine Länge von 2,2 km auf und ragte über
den von ihm angeschobenen Moränenwall auf die Hochfläche des Steins hinaus. Damals wurde
auch der tiefste Punkt, den der Gletschers erreichte, von Simony mit 2170 Höhenmetern
angegeben. In diesem Kar wurde in den 80-er Jahren unseres Jahrhunderts die Talstation
eines Sesselliftes für den Sommerschilauf errichtet.
Der Gletscher reichte im Osten von den Wänden des Koppenkarsteins bis zu den Wänden des
Gjaidsteins. Der Gipfel des Mittersteins (2417 m) ragte gerade noch aus den Eismassen
empor. Heute sind nur noch 33 % der einstigen Fläche des Gletschers erhalten, das sind
etwa 0.95 km², die sich noch weiter verringern werden, wenn unser derzeitiges
Klimaoptimum anhält und die Verschmutzung des Gletschers fortschreitet. Die
Abschmelzgeschwindigkeit des Schladminger Gletschers nimmt andererseits aber zunehmend ab,
da sein unterer Rand nunmehr bereits eine Höhe von 2430 m Seehöhe erreicht hat und in
dieser Höhenlage niedrigere Temperaturen herrschen. Wegen seiner geringen Mächtigkeit
von wenigen Metern unterhalb von 2550 m Seehöhe, wird das Eis des Gletschers dem
vorherrschenden Klima jedoch nicht mehr lange Stand halten können und in den nächsten
Jahren abschmelzen. Bereits jetzt beginnt im östlichen Bereich unter der Nordwandwand des
Koppenkarsteins auf 2555 m eine Felseninsel größeren Ausmaßes auszuapern.
Erst auf den Abbildungen nach 1780 ist der Schladminger Gletscher als der drittgrößte
Gletscher des Dachsteingebirges dargestellt. Auf der Karte von Georg Matthäus Vischer,
die 1667 und 1668 aufgenommen worden war und 1669 erschienen ist, sind der Dachstein und
die gesamte Gletscherregion als Schneeberg eingezeichnet. Die darunter liegenden Almen
werden von Vischer als Zlacken (Lackenmoosalm), im lang Kohr (Langkaralm), Das Gaid
(Gjaidalm), Taubenkor (Taubenkaralm), Schenbihel (Schönbichlalm) und das Matteregg
(Modereckalm) bezeichnet. Auf den früheren Karten von Wolfgang Lazius (1545) und Abraham
Holzwurm (1662) wurde der Dachstein überhaupt nicht festgehalten. E. Schütz wiederum hat
in seiner Karte von 1787 neben dem Schneegebirg auch das Ewige Eis und Schnee eingetragen.
Auch die Bezeichnungen Schladminger Alm und Verfallene Alm sind zu finden.
Die Sage von der übergossenen Alm
Auf dem Dachsteingebirge liegen alte vergessene Almmatten. Steinkränze der
Fundamente längst verfallener Almhütten zeugen von einer vergangenen Blütezeit.
Damals war auf den üppigen Almwiesen genug Futter für die Kühe, die reichlich Milch
gaben. Große Käselaibe und würzige Butterstriezel füllten die Vorratskästen der
stolzen Sennerinnen. Dieser Segen machte die Frauen übermütig, und sie begannen sich mit
der Milch zu waschen und darin zu baden. Die Hüttenböden legten sie mit Käselaiben aus,
und die Fugen der Hüttenwände verstopften sie mit Butter. Die Strafe für diesen Frevel
folgte in einer dunklen stürmischen Nacht, es begann in großen Flocken zu schneien und
hörte über Wochen nicht mehr auf. Die Almen wurden unter Schnee begraben, der bald zu
Eis erstarrte.
Das Sagenmotiv von der übergossenen Alm, das im Alpenraum im Zusammenhang mit Gletschern
häufig anzutreffen ist, erinnert vielleicht an die Kleine Eiszeit, eine dramatische
Klimaverschlechterung um 1580 einsetzte und über 100 Jahre andauerte. Damals konnten
viele Almen nur beschränkt genutzt werden, einzelne Almen mussten sogar aufgegeben
werden.
Brunngrube
Unter dem Schladminger Gletscher auf 2040 m Seehöhe liegt die Brunngrube
oder auch Lange Grube. In diesem langgezogenen postglazialen Kar konnte 1996 eine
spätbronzezeitliche Siedlung entdeckt werden. Eine 14-C-Datierung erbrachte ein Alter von
3385 Jahren (cal. BC-intercept).
Sind es heute von der Brunngrube bereits 360 Höhenmeter bis zum Eisrand des Schladminger
Gletschers, so waren es 1850 nur 130 Höhenmeter. Die Eisstände der beginnenden kleinen
Eiszeit, der Kälteeinbruch um 1450 und vor allem die Kältephase in der Hallstattzeit
können wir nicht belegen. Doch könnten Eisvorstöße bis in die Brunngrube erfolgt sein.
Im südlichen Randbereich der Brunngrube konnten Schichtfolgen von Schotter und Humus
beobachtet werden. Diese resultieren aus niederschlagsreichen Phasen, die auf
Gletschervorstöße hinweisen.
Gletscherstände der letzten 180 Jahre
Georg Geyer beschreibt 1886 in seinem Führer durch das Dachsteingebirge
den Schladminger Gletscher: Dem Flächenraum 1,68 km², nach, dem Gosau-Gletscher fast
gleichkommend, erreicht er nur eine Länge von 2743 m und endet schon bei 2208 m in den
Felswüsten des Stein, in dessen Geklüft seine Wässer versinken. Das würde bedeuten,
dass der Gletscher inzwischen 50 Höhenmeter über das Kar hinabgeflossen wäre. Diese
Angabe dürfte Geyer jedoch von Simony übernommen haben, der diese Messangabe 1867
barometrisch festhielt. Im Führerwerk von Radio-Radiis aus dem Jahr 1908 werden diese
Daten ebenfalls ungeprüft übernommen. Simony gibt für den Hallstattgletscher eine
Vertikalabnahme des Eises im Zeitraum von 1856 bis 1883 61, 3 m an. Diese Abnahme dürfte
auch annähernd für den Schladminger Gletscher zu veranschlagen sein. Seither hat der
Gletscher weiter an Mächtigkeit verloren.
In der Folge wird eine Reihe von Darstellungen des Schladminger Gletschers behandelt, deren einzelne Gletscherstände dann zur besseren Vergleichbarkeit auf eine Photographie aus dem Jahr 1996 übertragen wurden. Als weitere Quelle wurde die Karte Das Salzkammergut in Ober Oesterreich von Alois Souvent aus dem Jahr 1840 verwendetet. Das Zungenende befindet sich darauf bei etwa 2170 m Sh (?). Auf dieser Karte wurde der untere Teil des Gletschers mit zwei weiter reichenden schmalen Zungen eingezeichnet. Die Höhenangabe von 2170 Metern könnte annähernd richtig sein. Das oben bereits abgebildete Aquarell von Friedrich Simony von 1840 zeigt eine mächtige, Eisdecke die auf das Plateau hinausblickt. Simony meint, dass um 1850 bis 1855 der Abschluss der Wachstumsperiode des Gletschers eingetreten sei. Damals befand sich das Zungenende nach seinen Angaben auf 2170 m. Die Wachstumskurve des Schladminger Gletschers entspricht laut Simony der des Hallstätter Gletschers. 5 bis 10 Jahre später begannen die Schneemassen auch in den unteren Gletscherzonen soweit abzuschmelzen, dass größere Längenverluste festgestellt werden konnten.
Die Österreichkarte von 1967 (Österreich Karte 1:50.000, Blatt 127)
zeigt uns noch immer den Gletscherstand von 1934. Die Alpenvereinskarte (1:25.000) von
1992 dokumentiert den Gletscherstand von 1991, die Gletscherzunge endet darauf bei 2390 m
Sh. In der jüngsten Ausgabe der Österreich Karte (1:50.000 von 1996) wird angegeben,
dass der Gletscherstand von 1996 wiedergegeben werde. Tatsächlich jedoch wurde der
Gletscher in unveränderter Form und Größe wie in den Ausgaben von 1982 und 1989
abgebildet.
Das Klima in vergangener Zeit
Eine Klimarekonstruktion der letzten 800 Jahre konnte von der Arbeitsgruppe
für Jahrringforschung am Institut für Botanik in Wien erarbeitet werden. Die
Gletschervorstöße folgten immer mit einigen Jahren Verspätung den Klimarückschlägen.
Wir leben in einem Klimaoptimum, wie es das seit Jahrtausenden nicht mehr gegeben hat. Die
Sommertemperaturen in den Alpen haben einen Höchststand erreicht, wie er seit Ötzis Tod
auf dem Similaungletscher in Tirol nicht mehr vorgekommen ist. Denn sonst wäre
zwischenzeitlich Özis Leiche schon ausgeapert und zerstört worden. Ob diese
Erderwärmung maßgeblich durch natürliche Vorgänge oder durch anthropogene Faktoren
verursacht wurde, ist in der Fachwelt umstritten. Auf Grund der komplexen Fragestellung
konnte bislang noch kein endgültiger Beweis für deren tatsächliche Ursache erbracht
werden.
Schladminger Gletscher: "unterschätzt,
ausgebeutet und kaputtgemacht"!
30 Jahre Ramsau Dachsteinseilbahn und der nur auf wirtschaftliche Überlegungen aufgebaute Schitourismus zerstörten den Gletscher. Der Natur- und Umweltschutz hatte keine Bedeutung. Rußpartikelablagerungen der Dieselaggregate für die Stromerzeugung, der Dieselmotoren für die Liftanlagen, der Pistenpflegefahrzeuge (Pistenbullys) und Pistentaxis überzogen den Gletscher mit einer schwarzen schmierigen Schichte. Stürze von Schifahrern in diese schwarze Schmiere, führten bereits zu Anfragen über Reinigungsprobleme der Kleidung. Mit dem Wasserschlauch versucht man nun, diese Schmiere wegzuwaschen. Diese ölig-rußige Substanz versickert im Karst des Dachsteingebirges und tritt irgendwann im Quellbereich Hallstatts aus. (Abb. 1999)
Verwendete Literatur
Vgl. Dachstein. Vier Jahrtausende Almen im Hochgebirge. Das östliche
Dachsteinplateau. 4000 Jahre Geschichte der hochalpinen Weide- und Almwirtschaft. Bd.
1./Bd. 2. Hrsg. v. F. Mandl/G. Cerwinka. Gröbming 1996/98. (= Mitt. d. ANISA 17/18).
Bastl, Walter: Der Schladminger oder "Große Ramsauer Gletscher" In: Der Berg.
Nr. 14 (1986/87) S. 8 - 11.
Das Dachsteingebiet auf der Karte von Oberösterreich von G. M. Vischer (1669) im Maßstab
1:150.000. Nach
Brauner, Franz: Bestrafter Übermut. In: Steirische Heimathefte. Was die Heimat erzählt.
Heft 8. Das Ausseer Landl und das Ennstal von Mandling bis Liezen. Graz 1952, S. 53 u. 54
Fiedrich, Michael: Dendrochronologische Datierung von Almen des östlichen
Dachsteinplateaus. Untersuchungen anhand tausendjähriger hochalpiner
Jahrringchronologien. In: Dachstein. Vier Jahrtausende Almen im Hochgebirge. Das östliche
Dachsteinplateau. 4000 Jahre Geschichte der hochalpinen Weide- und Almwirtschaft. Bd. 2.
Hrsg. v. F. Mandl/G. Cerwinka. Gröbming 1998. (= Mitt. d. ANISA 18), S. 71 - 94.
Geyer, Georg: Führer durch das Dachsteingebirge und die angrenzenden Gebiete des
Salzkammergutes und Ennsthales. Wien 1886, S. 13.
Gindl, Wolfgang/Strumia, Giorgio/Grabner, Michael/Wimmer, Rupert: Dendroklimatologische
Rekonstruktion der Sommertemperatur am östlichen Dachsteinplateau während der letzten
800 Jahre. In: Mitt. d. ANISA 19/20 (1999), S. 24 -28.
Kainrath, Wolfgang: Friedrich Simony (1813-1896). Ein Lebensbild des Alpenforschers und
ersten Ordinarius für Geographie an der Universität Wien. In: Geographischer
Jahresbericht aus Österreich. LIII. Bd. (1994) Wien 1996, S. 9 - 41.
Mandl-Neumann, Herta: Die Lackenmoosalm in historischer Sicht. In: F. Mandl/ H.
Mandl-Neumann (Hrsg.)Dachstein. Die Lackenmoosalm. Ein interdisziplinäres
Forschungsprojekt zur hochalpinen Begehungs- und Besiedlungsgeschichte des östlichen
Dachsteinplateaus. Gröbming 1990. (=Mitt. der ANISA 11), S. 104-150.
Moser, Roman: Dachsteingletscher. Dachstein mit Hallstädter Gletscher und deren Spuren im
Vorfeld. Hallstatt 1997.
Pfeffer, Franz, die Erschließungsgeschichte des Dachsteinplateaus. In: OÖ
Heimatblätter. 1 (1947) H. 3, S. 197 u. Abb.
Radio-Radiis, Alfred: Führer durch das Dachsteingebirge und die angrenzenden Gebiete des
Salzkammergutes und Ennstales. 1. Aufl. Wien 1908, S. 11. Radio-Radiis verwendete als
Quelle auch den Führer durch das Dachsteingebirge von G. Geyer, der 1886 erschienen ist.
Simony, Friedrich: Das Dachsteingebiet. Ein geographisches Charakterbild aus den
Österreichischen Nordalpen. Text und Atlas. Wien 1895