Forschungsberichte der ANISA für das Internet. 3, 2015. (ANISA FB I 3, 2015)
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im September 2015 ins Netz gestellt, Ergänzungen: 15.12.2015; 07.10.2016
PASTERZE, Glocknergruppe
Der Gletscher der Österreicher ist ein Indikator für eine immer schneller werdende Klimaerwärmung
Gletscherschmelze von 1850 bis 2016
Eine Bilddokumentation zur Umwelt- und Klimabelastung im Hochgebirge
von Franz Mandl
1980 kletterte ich im August durch die Palavicini-Rinne auf den Großglockner (3798 m). Der Zugang erfolgte noch auf ungefährlichem Weg von der Hofmannshütte über die Pasterze zur Biwak-Schachtel (3250 m). Die Rinne selbst war bis auf dem Ausstieg durchgehend mit Eis und Firn bedeckt. Heute wäre der Steig von der Hofmannshütte zur Pasterze wegen der Eisabsenkung und die Kletterei durch die weitflächig eisfreie Palavicini-Rinne ein höchst steinschlaggefährdetes Unternehmen. Der Blick vom eisbedeckten Hufeisenbruch hinunter zur Pasterze zeigte 1980 noch eine mächtige Gletscherzunge. 2003, 2004 und nun wieder 2015 dokumentierte ich die Pasterze. Innerhalb der vergangenen 12 Jahre erfolgte ein weiterer mächtiger Sprung im Gletscherrückzug, der Hand in Hand mit der zunehmenden Klimaerwärmung verläuft. Der Gletscherlehrpfad zur abschmelzenden Gletscherzunge zeigt mit Tafeln eindrucksvoll die Gletscherrückgänge und ist ein beliebtes Wanderziel für die Besucher der Franz-Josefshöhe geworden.
Zwischen 1850 und 1856 erreichte der nacheiszeitliche Gletschervorstoß seinen Höhepunkt und endete in den tiefen Klammen nördlich und südlich der Margaritze. Die Margaritze war vom Gletscher weitläufig überdeckt (siehe das Bild von T. Ender in diesem Beitrag). Erst 1952, also an die 100 Jahre später, war der Keesboden bzw. die Margaritze (1967 m, AV-Karte 1928) bis zur Kante des beginnenden Oberen Pasterzenbodens (2060 m, AV-Karte 1992) eisfrei, heute befindet sich hier der aufgestaute Abfluss des Sandersees. Dann ging es Schlag auf Schlag: 1965 (2060 m, AV-Karte 1969) war bereits der Untere Pasterzenboden weitgehend eisfrei. Dort bildete sich ein kleiner See, der später aufgestaut und Sandersee genannt wurde. 1985 (AV-Karte 1992) zog sich die Pasterze bis zur Franz-Josefshöhe zurück. 2000 erreichte die Pasterze nur noch die Gletscherbahnlinie (ÖK 3227, 2002). 2015 wirkt die Gletscherzunge wie eine riesige Ruine. Das Gletscherende ist beinahe den halben Weg von der Gletscherbahn zur Hofmannshütte zurückgewichen. Der freie Abfluss erfolgt bereits im Bereich unterhalb der Hofmannshütte. Insgesamt zog sich der Gletscher von 1850 bis 1952 um 800 m zurück. Von 1952 bis 2000, in einem Zeitraum von nur 48 Jahren, erfolgte ein Rückzug von ebenfalls 800 Metern. Von 2001 bis 2014, also in nur 14 Jahren, zog sich das schuttfreie Zungenende der Pasterze um unglaubliche 722 m zurück. Der Rekord liegt mit 160 m im Messjahr 2012 (Quelle: Gletscherberichte. Bergauf. Mitgliedermagazin des Österreichischen Alpenvereins 2001 bis 2015). K. G. Lieb und H. Slupetzky bilden in ihrem Buch über die Pasterze eine Modellierung ab, die bis Ende des 21. Jahrhunderts bei einem Temperaturanstieg von nur 1°C das gänzliche Abschmelzen der Pasterzenzunge prognostiziert. Von 1852 bis 2015 erfolgte im Bereich der Hofmannshüttenlinie eine Eisabsenkung (Einsinkbetrag) von 297 m. Die Eishöhe beträgt hier kaum noch 100 m. Zur Geschwindigkeitszunahme des Abschmelzprozesses ist auch die Höhenzunahme im Gelände zu berücksichtigen, die die Klimaerwärmung eindrucksvoll unterstreicht.
2016 konnte am 30.09.2016 auf der Pasterze ein Naturschauspiel dokumentiert werden. Der ausgeaperte Eiskuchen des früheren Gletschersees oder älteren Gletschers ist in den letzten Jahren vom Schmelzwasser unterspült worden. Schließlich begann das unterspülte Ende zu schwimmen und zerbrach in riesige Eisschollen. Siehe dazu die Fotos am Ende des Beitrages.
Die erste Gletscherkarte der Pasterze war auch gleichzeitig die erste Gletscherkarte in den Ostalpen. Sie wurde von A. und H. Schlagintweit noch vor dem Gletscherhöchststand angefertigt und 1850 herausgegeben. Reproduktion/Privatsammlung.
Der Rückzug der Pasterze von 1852 bis 2015. 2015/A: Gletscherstand des steinfreien Teiles. 2015/B: Gletscherzerfall und Austritt des freiliegenden Bachbettes noch knapp vor der Hofmannslinie, am Nordrand der Pasterze. Daten erstellt mit den Pasterzenabbildungen der Alpenvereinskarten und eigener Dokumentationen. Ausschnitt aus der Karte: GROSS-GLOCKNER-GRUPPE des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 1890. 1:50 000. Reproduktion/Privatsammlung.
Kaiser Franz Josef von Österreich besuchte die Pasterze am 7. September 1856. Der Aussichtspunkt wird seither Franz-Josefshöhe genannt. In diesen Jahren hat bereits der bis heute andauernde Abschmelzprozess begonnen. Reproduktion/Privatsammlung.
Die Pasterze mit Großglockner von der Franz-Josefshöhe. Foto auf Karton 1900. Würthle & Sohn Salzburg. Reproduktion/Privatsammlung.
Blick von der Franz-Josefshöhe zum Großglockner (3798 m) und Johannisberg (3463 m). Ansichtskarte um 1900. Reproduktion/Privatsammlung.
Blick von der Franz-Josefshöhe über die Pasterze zum Johannisberg (3463 m).Foto 2015.
Der abschmelzende Hufeisenbruch unter dem Johannisberg (3463 m). Die Pasterze wird von drei Eisströmen genährt. Foto 2015.
Gletscherstand 1980. Foto 2015
Gletscherstand 2010. Foto 2015.
Das eisfreie Gletscherbett der Pasterze wird zuerst eine Seenlandschaft, die allmählich verlandet. Foto 2015.
Blick von der Franz-Josefshöhe zur Gletscherzunge. Foto 2015.
Abrutschender Hang- und Moränenschutt lagerte sich ab und bildete erdige Sedimentschichten. Darin sind auch Holzreste eines vorgeschichtlichen Baumbestandes (Zirben und Latschen) zu finden, der mit Unterbrechungen zwischen 8500 bis 1500 v. Chr. existierte. Dass bis zu 400 Jahre alte Bäume noch vor 3500 Jahren vor der Gletscherzunge und auf den Südhängen über dem Pasterzenboden wuchsen, ist auch ein Beleg dafür, dass in der Mittleren Bronzezeit ein günstiges Klima für eine hochalpine Weidewirtschaft vorhanden war. Am südlichen Uferbereich des Sandersees, das an die 50 Jahre eisfrei ist, wachsen heute neben den üblichen Pionierpflanzen kleine Erlenbüsche und bereits die ersten Lärchenbäumchen. Bis daraus mächtige Bäume werden, müsste ein 400 Jahre andauerndes günstiges Klima vorherrschen. Weidewirtschaft in der Mittleren Bronzezeit konnte in den Alpen vielfach und auch von uns mehrfach auf dem Dachsteingebirge und dem Tennengebirge nachgewiesen werden. Foto 2015.
Moränen- bzw. Sedimentablagerung in Permafrostlage (Fundort zwischen Gletschermarke 2015 und Hofmannslinie), die vom Eis der Pasterze überlagert wird. Bemerkenswert ist, dass das mächtige Gletschereis über viele Jahrhunderte und möglicherweise Jahrtausende über das hartgefrorene Erde- und Schottergemisch hinweggleitete. Datierungen dieser Sedimente können neue Erkenntnisse zur Geschichte der Pasterze liefern. Der Foto 2015.
Eisbruch der Pasterze hinab in den Keesboden. Bereits zu Enders Besuch wurde die Margaritze vom Eis überfahren. Lithographie. Thomas Ender 1832. Reproduktion/Privatsammlung.
Eisbruch der Pasterze hinab in den Grünen See im Keesboden. Aus Schlagintweit 1850. Reproduktion/Privatsammlung.
Eisbruch hinab in den Keesboden um 1890. Würthle & Sohn Salzburg. Reproduktion/Privatsammlung.
Blick von der Magaritze zum abschmelzender Eisbruch. Foto auf Karton 1900. Würthle & Sohn Salzburg. Reproduktion/Privatsammlung.
1876 wurde das Glocknerhaus eingeweiht. AK um 1905. Reproduktion/Privatsammlung.
Blick vom Beginn des Hufeisenbruchs zur mächtigen Pasterzenzunge. Aus Zs. d. DÖAV 1898. Reproduktion/Privatsammlung.
Blick vom Beginn des Hufeisenbruchs zur kleiner werdenden Pasterzenzunge. Foto 1980.
Blick von der Magaritze über den Magaritzenstausee zum ehemaligen Eisbruchareal mit dem Elisabethfelsen (2155 m). Foto 2015.
Der Sandersee bildete sich in dieser Größe nach der Aufstauung durch ein Rückhaltebecken für den feinen Gletschersand der sogenannten "Gletschermilch". Das funktionierte mehrere Jahre, bis das Becken vollgefüllt war. Nun fließt das Wasser mit der Gletschermilch wieder in den Margaritzenstausee hinab. Dieser Bau im Interesse der E-Wirtschaft widerspricht eigentlich den Richtlinien eines Nationalparks. Foto 2015.
Der Abfluss des Rückhaltebeckens Sandersee. Foto 2015.
Die einstmals 6 km lange Zunge der Pasterze hat heute beinahe die Hälfte ihrer Länge verloren. Etwa nur noch ein Viertel der einstigen Eismasse ist übriggeblieben. Blick vom Wiener Höhenweg hinab in das Gletscherbett der Pasterze. Diese endete um 1850 bei den Staumauern, füllte jedoch mit Endzungen einen Teil der die Margaritze umklammerten Möll- und Margaritzenklammen aus. Der Grün- bzw. Pasterzensee, der noch im Franziszäischen Kataster von 1833 und von den Schlagintweitbrüdern in ihrer Gletscherkarte abgebildet wurde, wurde schließlich mit dem erreichen des Maximalstandes überfahren und bildete sich danach nicht mehr. Heute füllt dieses Kar der mächtige Margaritzenstausee aus. Foto 2004.
Dokumentation 2016
Die Gletscherstandstafeln von 1960 bis 2015 und die neue 2016er Linie wurden mit dem Hand-GPS eingemessen.
Blick von der Franz-Josefshöhe auf die zerfallende Pasterze. Foto 2016
Der Hufeisenbruch mit dem Johannisberg (3463 m). Der Eiszufluss vom Oberen Pasterzenboden zur Pasterze nahm gegenüber 2015 bereits sichtbar ab. Foto 2016
Der schwimmende Eiskörper zerbrach in hunderte Eisschollen. Foto 2016
Detail des schwimmenden Eiskörpers. Foto 2016
Geschätzte Gletscherstandslinie vom 30.09.2016. 2080 m. Foto 2016
Eisberge am Ende der Pasterze. Foto 2016
Ein Naturereignis in Kleinformat. Ein durch die Schwerkraft sinkender Stein bildet einen runden Wall und kleine Risse im Sand. Foto 2016
Talstation der Gletscherbahn, 2225 m. Als sie 1960 eröffnet wurde reichte der Gletscher bis in deren Höhe. Inzwischen liegt die Pasterze 150 m tiefer. Foto 2016
Blick von der Talstation der Gletscherbahn zum Pasterzensee mit den zerbrochenen Eisschollen. Foto 2016
Ausblick
Die Gletscher zeigen uns kein ewiges Eis. Sie sind
vergänglich. Ihr Werden und Vergehen wird von Klimaänderungen bestimmt, die
nicht nur Gletscherschwankungen auslösen, sondern auch die Pflanzenwelt und die
Tierwelt und damit auch unser Leben maßgeblich beeinflussen.
Die Geschichte belegt Völkerwanderungen, die von ungünstigem Klima, aber auch durch Übernutzung des Lebensraumes ausgelöst wurden. Verwüstungen von Grünland zwang Menschen neue Lebensräume zu suchen. Beispiele solcher Wanderungen liegen nicht allzu weit zurück. So endete das Römische Reich in einer Völkerwanderungszeit, die als Kulturstufe vor dem Mittelalter in den Geschichtsbüchern geführt wird.
Literatur
DRESCHER-SCHNEIDER, Ruth: Gletscherstände und bronzezeitliche Almnutzung in den Hohen Tauern und am Dachstein (Österreich). Ergebnisse palynologischer Untersuchungen. In: Archäologie in den Alpen. Alltag und Kult. Forschungsberichte der ANISA, Band 3 und Nearchos Band 19. Herausgegeben von Franz Mandl und Harald Stadler. Haus i. E. 2010. S. 15-24.
ERTL, Franz: Heiligenblut. Das Glocknerdorf. Eine Chronik der Gemeinde Heiligenblut. Heiligenblut 2002.
LIEB,Gerhard Karl/SLUPETZKY, Heinz: Die Pasterze. Hrsg. v. Nationalpark Hohe Tauern/Österreichischer Alpenverein. Salzburg 2011
SCHLAGINTWEIT,Hermann/SCHLAGINTWEIT, Adolf: Untersuchungen über die Physicalische Geographie der Alpen. In ihren Beziehungen zu den Phänomenen der Gletscher, zur Geologie, Meteorologie und Pflanzengeographie. Leipzig 1850.
SEELAND, Ferdinand: Studien am Pasterzengletscher. In: Zs.d.DÖAV. 1880-1893.
ZÄNGL, Wolfgang/HAMBERGER, Sylvia: Gletscher im Treibhaus. Eine fotographische Zeitreise in der alpinen Eiswelt. Steinfurt 2004.
Aktueller Bericht zum Gletscherschmelzen: http://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/gletscher-sehr-stark-geschmolzen online 15.12.2015
Quellen
Privatarchiv, Karten, Fotos und Repros: Franz Mandl
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