Forschungsberichte der ANISA, 1 2015. Im Jänner 2015 ins Netz gestellt.
Hochalpine Wüstungsforschung im Tennengebirge
Das interdisziplinäre Projekt Pitschenbergalm – Ein
Zwischenbericht
Nach der Entdeckung einiger wüst gefallener
Gebäudestrukturen im Jahr 2012 wurden in den Sommermonaten der darauffolgenden
beiden Jahre von ehrenamtlichen Mitarbeitern der ANISA, Verein für alpine
Forschung, eingehende
Prospektionen im Bereich der Pitschenbergalm durchgeführt. Für unsere Vorhaben
konnte als Kooperationspartner die Abteilung für Archäologien des
Bundesdenkmalamtes gewonnen werden. Nach diesen ersten zwei Kampagnen ist es nun
an der Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen und unsere bisherigen Erkenntnisse kurz
vorzustellen.
Abb.1: Das Tennengebirge in einer Luftaufnahme von Süden
(Quelle: Bing-Maps)
Die Pitschenbergalm besteht aus zwei Almgebieten: die
nord-süd ausgerichtete Vordere Pitschenbergalm (1736-1820 m) und die west-ost
ausgerichtete Hintere Pitschenbergalm (1840-1925 m), welche durch den Windischriedel (1925 m) geteilt werden. Waren diese Almweiden einst vom Gut
Stegenwald aus - gemeinsam mit der Grünwaldalm (1166 m) - im Rahmen einer
gestaffelten Almwirtschaft bestoßen worden, werden sie heute nur noch als
Schafweide von Bauern aus Werfenweng genutzt. Das große und sorgfältig bis zum First aus Kalksteinen
gemauerte Almgebäude nahe der Pitschenberglacke samt separatem Keller und großem
Steinanger auf der Vorderen Pitschenbergalm zeugt noch heute von der einstigen
Bedeutung der Almwirtschaft in diesem Bereich. Es wurde in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts errichtet, stand bis 1978 in Verwendung (ab 1962 nur noch
als Galtalm) und ist seither dem Verfall preisgegeben.
Abb. 2: Das neuzeitliche Almgebäude auf der Vorderen
Pitschenbergalm
Unser Interesse während der ausgedehnten Begehungen galt
aber vielmehr den älteren und bereits stärker verfallenen Gebäuderesten auf der
Pitschenbergalm und wir wurden auch fündig. Um diese baulichen Strukturen so
genau wie möglich dokumentieren zu können, errichteten wir zunächst ein Netz aus
Fixpunkten, welches sich über die gesamte Pitschenbergalm erstreckt. Dadurch
wird die
Aufstellung und freie Stationierung eines Vermessungsgerätes an fast jedem
beliebigen Punkt ermöglicht. Mit einem Tachymeter - dankenswerterweise zur
Verfügung gestellt von der TU Graz (Institut für Navigation) - konnten alle
entdeckten Objekte exakt eingemessen werden. Zusätzlich erfolgte eine
Dokumentation aus der Vogelperspektive. Franz Mandl fertigte mit einem Multicopter Luftaufnahmen der Objekte an, die uns als Grundlage für
Planzeichnungen dienten. Die Objekte wurden nämlich zunächst mit eingemessenen
Passmarken versehen, welche in weiterer Folge zur fotogrammetrischen Entzerrung
der Luftaufnahmen herangezogen werden konnten. Auf diese Weise gelang es, den
Arbeitsaufwand im Feld so gering wie möglich zu halten, um in vergleichsweise
kurzer Zeit eine große Menge an Strukturen erfassen zu können. Insgesamt konnten
22 bauliche Strukturen dokumentiert und in einen die gesamte Pitschenbergalm
umfassenden Gesamtplan eingebunden werden, der eine optimale Grundlage für
weitere Forschungen in diesem Bereich darstellt.
Abb. 3: Vermessungsgeräte und fertige Planzeichnung des
neuzeitlichen Almgebäudes von der Hinteren Pitschenbergalm
Bei diesen „baulichen Strukturen“ handelt es sich
zumeist um verrundet rechteckige Steinlagen aus Kalksteinen, die an einer Seite
eine Aussparung für den Eingang erkennen lassen. Sie sind wohl als trocken
gesetzte Grundmauern bzw. Auflagesteine zu interpretieren, welche einst einen
Aufbau aus organischem Material trugen. Ob es sich dabei um eine
Holzkonstruktion in Blockbautechnik oder eine andersartige, weniger stabile
Bauweise aus Holzstangen und Planen aus Tierhäuten und/oder Textilien gehandelt
hat, kann nicht mehr festgestellt werden. Die Gebäude befinden stets in erhöhter
Lage über dem Almboden auf sanften Kuppen oder Geländestufen. Zum einen liegt
dies mit Sicherheit darin begründet, dass die Böden von ausgedehnten
Buckelwiesen dominiert werden, deren stark reliefierte Oberfläche kaum geeignete
Bauflächen aufweist. Zum anderen hat man bei der Errichtung der Hütten offenbar
auch darauf geachtet, diese in Bereichen mit möglichst viel Sonneneinstrahlung
zu positionieren. Zusätzlich wurden auch mehrere größere Strukturen aus
aufgeschichteten Kalksteinen entdeckt, die wahrscheinlich als Viehpferche
interpretiert werden können.
Abb. 4: Eines der verfallenen
spätbronzezeitlichen Gebäude auf der Hinteren Pitschenbergalm
(Luftbild: F. Mandl).
Rein optisch lassen die wüst gefallenen Gebäude kaum eine nähere Datierung zu
(eine relative Datierungsmethode für erste Befunde befindet sich derzeit in der Entwicklung –
siehe Internetbeiträge F. Mandl). Daher wurden innerhalb der Objekte
kleinräumige Sondagen (20x20 cm) angelegt, um aus der Benutzungsschicht
Holzkohleproben für eine 14C-Analyse
entnehmen zu können, die uns einen groben Datierungsanhalt liefern kann.
Zusätzlich erlangt man auf diese Weise auch einen ersten Eindruck von den
stratigrafischen Verhältnissen in den Gebäuden.
Bislang konnten mittels der Radiokarbonmethode auf der Pitschenbergalm 11
Objekte zeitlich näher eingeordnet werden. Es zeigte sich dabei, dass wohl
bereits ab der frühen Bronzezeit (BETA-360563: 3510 ± 30 BP /1950-1860
v. Chr. oder
1850-1770 v.
Chr. - 2σ kalibriert) mit einer
almwirtschaftlichen Nutzung der Hinteren Pitschenbergalm zu rechnen sein dürfte.
Für die Spätbronzezeit gelang der Nachweis von drei baulichen Strukturen auf der
Hinteren Pitschenbergalm, wobei Daten zwischen dem Ende des 14. und dem 12.
vorchristlichen Jahrhundert vorliegen. Zusätzlich konnten im Rahmen einer
Detailuntersuchung eines dieser Gebäude auch zwei
vom selben Gefäß stammende Keramikwandfragmente geborgen werden, die ebenso in
die Bronzezeit zu datieren sind. Der Scherben ist innen hellbraun und weist eine
Magerung aus Kalksteinchen und kleinen Schlackenstückchen auf. Sowohl auf der
Gefäßaußenseite als auch innen ist die Oberfläche geglättet und schwarz.
Abb. 5: Die Hintere Pitschenbergalm mit Blick Richtung Süden.
Nach dieser Zeit offenbar
recht intensiver Nutzung der Pitschenbergalm folgen fast tausend Jahre für die
bis dato ein Nachweis menschlicher Aktivität fehlt. Erst für die jüngere
Eisenzeit, die Latènezeit, liegen wieder zwei
14C-Daten
vor, die aber beide von der Vorderen Pitschenbergalm stammen. Nahe der
nördlichsten Ausläufer der Almweiden konnte eine bauliche Struktur ausgemacht
werden, die an einen Kalkfelsen angebaut ist (2.-1. Jh. v. Chr.). Dieser liegt
nördlich des Gebäudes und schützt es vor Witterungseinflüssen, während zugleich
aufgrund der offenen Lage gegen Süden die Sonneneinstrahlung optimal ausgenutzt
werden kann.
Ebenfalls im Schutz eines Felsens, in diesem Fall handelt es sich allerdings um
einen Sturzblock, konnte eine zweite latènezeitliche Lagerstätte nachgewiesen
werden (2.-1. Jh. v. Chr.). Allerdings fand sich hier (noch) keine bauliche
Struktur, was an einen anders gearteten Unterstand denken lässt. Dieser
Fundplatz schafft auch eine Verbindung zur darauffolgenden Epoche: der römischen
Kaiserzeit. Zehn Zentimeter über der eisenzeitlichen Schicht konnte neben einer
wohl römischen zu datierenden Bodenscherbe eines Keramikgefäßes eine
weitere Holzkohleprobe entnommen werden, die in das erste Jahrhundert nach
Christus datiert. Eine weitere römische Struktur befindet sich auf der Hinteren Pitschenbergalm, wobei die Daten hier bis ins 2. Jh. n. Chr. reichen.
Abb. 6: Beprobung der im Schutze des Felssturzblockes gelegenen,
späteisenzeitlichen bzw. frührömischen Struktur auf der Vorderen Pitschenbergalm
(Foto: F. Mandl)
Eine eindeutige
gleichzeitige Nutzung beider Almen konnte für das frühe Mittelalter nachgewiesen
werden. Sowohl ein zweiräumiges Gebäude mit angebautem Pferch im südlichsten Teil der
Vorderen Pitschenbergalm als auch ein kleines, rechteckiges Objekt auf der Hinteren Pitschenbergalm datieren in das 7. bzw. 8. Jh. n. Chr. Unweit dieser
Struktur, am selben Platz, der bereits in der frühen und späten Bronzezeit für
die Errichtung von Gebäuden genutzt wurde, konnte die Hüttstatt des
Spätmittelalters ausfindig gemacht werden (14C-Daten
vom Ende 13. bis Anfang 15. Jh. n. Chr.). Für die folgende Zeit können lediglich
zwei gestempelte Randfragmente
sogenannter "Kremprandtöpfe" (Passauer Ware) als Hinweise auf Almwirtschaft
angesehen werden. Sie datieren ins 15./16. Jh. n. Chr. und gelangten als Streufunde an das
Museum in Golling .
Die erste urkundliche Erwähnung der
Pitschenbergalm erreicht uns vergleichsweise spät in einem Urbar aus dem Jahr
1749. Welche bauliche Struktur mit dieser Schriftquelle zu verknüpfen ist, muss
noch offen bleiben. Wahrscheinlich bezieht sich die Quelle dabei unter anderem
auf den noch teilweise erkennbaren Vorgängerbau des verfallenen Almgebäudes im
Nordwesten der Hinteren Pitschenbergalm. Vielleicht hat in diesem Zusammenhang
aber auch noch das große, vierräumige Gebäude westlich der Pitschenberglacke,
von dem sich nur mehr die mächtigen Grundmauern im Almboden erkennen lassen,
eine Rolle zu spielen.
Abb. 7: Das zweiräumige Gebäude samt angebautem Pferch im südlichsten
Teil der Vorderen Pitschenbergalm konnte in das Frühmittelalter datiert werden
(Luftbild: F. Mandl)
Zusammenfassung
Durch die Arbeit der ANISA konnte die Geschichte der Pitschenbergalm um einige spannende Kapitel erweitert werden, denn es zeigte sich, dass diese Almweiden wohl bereits vor gut 4000 Jahren genutzt wurden. Seit dieser Zeit wurde die Alm immer wieder von Menschen aufgesucht und diese hinterließen Spuren in Form der von ihnen errichteten Hütten und Pferche. Wenngleich der Nachweis einer zeitgleichen Nutzung beider Almen bislang nur für das Frühmittelalter eindeutig erbracht werden konnte, wird man, alleine schon aufgrund der naturräumlichen Lage, von einer parallelen Nutzung der Vorderen und der Hinteren Pitschenbergalm ausgehen dürfen. Zudem gilt anzumerken, dass einige der Strukturen nicht das nötige Probenmaterial für eine 14C-Datierung erbracht haben und daher zeitlich nicht näher eingeordnet werden konnten. Weiters wird man im wahrscheinlich stets als Bauplatz begehrten, jedoch räumlich knapp bemessenen Bereich rund um die Pitschenberglacke mit der Zerstörung älterer Strukturen durch jüngere Bautätigkeiten rechnen müssen. Vor allem im Zuge der Errichtung der beiden großen, neuzeitlichen Almgebäude dürften in dieser Hinsicht viele archäologische Spuren verwischt worden sein. So darf es nicht verwundern, dass trotz der vier nachgewiesenen bronzezeitlichen Objekte auf der Hinteren Pitschenbergalm aus dieser Zeit von der vorderen Alm keine Strukturen vorliegen. Immerhin liegen eindeutige Indizien für eine sehr frühe Begehung dieses Bereiches in Form von Silexartefakten vor, die von S. Krutter vom Museum Golling im Uferbereich der Pitschenberglacke entdeckt werden konnten.
Während wir uns nun schon ein gutes Bild über die
zeitliche und räumliche Verteilung der baulichen Strukturen auf der
Pitschenbergalm machen konnten, stehen noch viele Fragen offen. So fehlen
bislang eindeutige Hinweise darauf, wie genau wir uns die frühe Almwirtschaft auf
der Pitschenbergalm vorstellen müssen. Welche Tiere wurden aufgetrieben? Wurde
Milchwirtschaft betrieben oder stand eher die Fleischproduktion im Vordergrund?
Handelte es sich um eine gestaffelte Almwirtschaft, wie sie in der Neuzeit
betrieben wurde, oder müssen wir mit ganz anderen Modellen der alpinen
Weidewirtschaft rechnen? Zudem stellt sich natürlich die Frage nach den
Heimhöfen der Almgebäude. Um zumindest einige diese Fragen beantworten zu können
oder einer fundierten Antwort jedenfalls näher zu kommen, planen wir in Zukunft
archäologische Ausgrabungen auf der Pitschenbergalm durchzuführen. Einige
wesentliche Informationen erhoffen wir uns außerdem von einem in Bearbeitung
befindlichen Pollenprofil (Ruth Drescher-Schneider). Zunächst aber soll diesen Sommer das weitere Umfeld
der Pitschenbergalm noch einmal im Zuge einer Prospektion genauer unter die Lupe
genommen werden.
Abb. 8: Die Hintere Pitschenbergalm von Osten gesehen.
Literatur zum Projekt:
F. Mandl, Das interdisziplinäre
Projekt „Pitschenbergalm“. Tennengebirge, Land Salzburg. Ein Vorbericht. Mit
einem Vorwort von Bernhard Hebert.
Forschungsberichte
der ANISA 5, 2014, 37-42.
D. Brandner, Das
interdisziplinäre Projekt „Pitschenbergalm“. Tennengebirge, Land Salzburg. Erste
archäologische Ergebnisse.
Forschungsberichte
der ANISA 5, 2014, 43-48.
Meinungen zu diesem Beitrag: daniel.brandner@gmx.at und franz.mandl@anisa.at
Redaktion: F. Mandl (12.04.2015)
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