Bernhard Hebert


Ein hochalpiner Brandopferplatz am Sölkpass

Auszug aus Alpen, Archäologie, Felsbildforschung (Bestellung)

 

Ausklauben der kalzinierten Knochenfragmente, Sölkpass 2000


Seit 1998 beschäftigt sich der Verein ANISA intensiv mit dem Sölkpass1, einem wichtigen Übergang vom Enns- ins Murtal mit 1780 m Seehöhe. Die Entdeckung eines als überwachsener Steinkranz sichtbaren Hüttenfundaments und die überraschenden Datierungen dort entnommener Holzkohleproben in die Urnenfelderzeit gaben Anlass für eine im August 1999 von Bundesdenkmalamt und Verein ANISA durchgeführte Grabung, über die bereits kurze Vorberichte vorliegen.2
Diese Vorberichte sollen nicht wiederholt, einstweilen auch keine zusammenfassenden historischen Überlegungen zum Sölkpass angestellt werden; wir wollen hier vielmehr eine für die Interpretation des vielleicht wichtigsten Befundes entscheidende naturwissenschaftliche Untersuchung vorlegen, der eine knappe archäologischen Einleitung voranzustellen ist. 
Diese naturwissenschaftliche Untersuchung widmet sich den kalzinierten Knochenresten, die nicht von dem oben kurz erwähnten Fundament, sondern von einer zweiten Grabungsstelle direkt auf der Passhöhe knapp über der an Stelle eines älteren Baus3 neu errichteten Kapelle stammen (Abb. 1). Hier hatte sich der ursprüngliche eigentliche Passübergang befunden, bevor die Anlage der modernen Fahrstraße den heute prägenden tieferen Einschnitt erzeugte und auch die alte Steinmauer4 teilweise zerstörte, welche heute noch die Gemeinde- und Bezirksgrenze kennzeichnet. 
Im Gelände war bei den Grabungsvorbereitungen an dieser topographisch besonders prägnanten Stelle eine künstliche Verebnung aufgefallen, neben der eine Anschüttung bei der Versuchsgrabung gerade so weit abgetragen werden konnte, dass ihre Struktur zu erkennen war: Es handelt sich um eine (an dieser Stelle) bis zu 0,4 m hohe Anschüttung (Abb. 2) auf rundlichem Grundriss (Dm. wahrscheinlich zwischen 5 und 7 m) aus großen Steinen, Asche, Holzkohle, tausenden kleinen und kleinsten verbrannten Knochen und einigen wenigen Funden, unter denen eine urnenfelderzeitliche Bronzenadel (Abb. 3)5 besondere Beachtung verdient; sie war unter einem großen Stein offenbar bewusst deponiert, was gut zur besonderen Rolle der Nadel im bronzezeitlichen Opferbrauchtum passen würde6. Auch ein bereits bestimmtes Radiokarbondatum7 spricht für eine schwerpunktmäßige Datierung der in der Anschüttung eingelagerten Holzkohle in die (spätere) Urnenfelderzeit. Ob die Niederlegung von Gaben in der zumindest teilweise Schichtungen aufweisenden Anschüttung (Abb. 4) bis in die frühe Römerzeit fortgesetzt wurde8, wie dies eine in der rezent gestörten Böschung zur Fahrstraße gefundene Münze des Kaisers Domitian9 nahelegen würde, kann noch nicht mit Sicherheit behauptet werden. 
Derartige Befunde deutet man seit der richtungsgebenden Arbeit Werner Krämers von 1966 als Überreste von kultischen Brandopfern an "herausragenden Lokalitäten" mit "naturheiligem Rang"11, für die die Belassung oder Aufschüttung der Opferreste, meist deponierte keramische und metallene Opfergaben und oft Steinstrukturen charakteristisch sind; hochalpine Fundorte scheinen vergleichsweise fundarm12. Für die Deutung derartiger Befunde als Überreste von individuellen (?) Speiseopfern13 ist insbesondere die intentionelle Selektion bestimmter Körperteile (v. a. Schädel und Fuß/Handpartien) der Opfertiere wesentlich15.
Im Lauf der Jahrzehnte sind etliche Fundstellen als Brandopferplätze erklärt worden, manche davon sicher zu Unrecht. Beschränkt man sich nach der aktuellen Zusammenstellung von Weiss16 auf die gesicherten, lassen sich neben dem Vorkommen in Süddeutschland drei Hauptverbreitungsgebiete17 in den Alpen erkennen (Alpenrheintal, Südtirol, Salzburger Land), von denen das im Salzburger Land unserer Fundstelle am Sölkpass am nächsten rückt. Der kleine Brandopferplatz am Biberg im Saalfeldner Becken ist z. B. auch in seinen Dimensionen von 4,5 m Durchmesser und 0,3 m Höhe recht gut vergleichbar18. Dass die Lage des Brandopferplatzes am Sölkpass gegenüber dem bisher Bekannten etwas abseitig scheint, sollte wohl nicht weiter verwundern, sondern als Auswirkung des regional unterschiedlichen Forschungsstandes betrachtet werden.
Genauere Vergleiche und Einordnungen müssten die Ergebnisse weiterer Grabungen am Sölkpass abwarten, deren Verwirklichung angesichts zunehmender Finanzierungsschwierigkeiten im Bereich der Archäologie derzeit leider in den Sternen steht. Der Bedeutung der Fundstelle als spezielles, vielleicht über viele Generationen hin benutztes lokales Heiligtum in Bezug zu einem Verkehrsweg19 soll hier durch eine Vorabpublikation der für die Deutung besonders wichtigen Tierknochenuntersuchung entsprochen werden.



Anmerkungen:
1 Mitteilungen der ANISA 19/20, Heft 1/2, 1999, 119. Die Fundstelle liegt in der Katastralgemeinde St. Nikolai, Verwaltungsbezirk Liezen.
2 B. Hebert und Ulla Steinklauber, Die ältesten Sölkspuren. Archäologische Grabungen am Sölkpass - Ein Vorbericht anlässlich der Ausstellung im Naturparkhaus Schloss Großsölk. In: Sölkspuren I. Eine kulturgeschichtliche Dokumentation des Naturparkes Sölktäler. Stein a. d. Enns 2000, S. 1 Hebert, Archäologische Entdeckungen am Sölkpass. Ein aktueller Vorbericht, Da schau her, 21 (2000) H. 1, S. 13. - B. Hebert, Ein neuentdeckter alpiner Brandopferplatz am Sölkpass, Stmk., Archäologie Österreichs, 10/2, 1999, 30f.
3 1717 ist bereits am Sölkpass (Sölker Thörl) "ein neugemauertes X", also ein neu errichtetes steinernes Kreuz urkundlich bezeugt: O. Fraydenegg-Monzello und A. Ziegenhofer, Der Sölkpass. Vom Saumpfad zur Erzherzog-Johann-Straße, 1997, 33.
4 Bereits 1576 ist ein "stainen meierl, welches man das Törl nennt" bezeugt: Fraydenegg - Ziegenhofer 18.
5 Länge (leicht verbogen) 18,5 cm. Nadel mit doppelkonischem Kopf, geripptem Halsknoten und verziertem Schaft, wohl dem in die mittlere und jüngere Urnenfelderzeit zu setzenden Typus Velemszentvid (vgl. z. B. J. Ríhovský, Prähistorische Bronzefunde XIII/10, 1983, 105 f.) anzuschließen.
6 R.-M. Weiss, Prähistorische Brandopferplätze in Bayern, Internationale Archäologie 35, 1997, 62. Das im folgenden als "Weiss" zitierte Werk bietet eine aktuelle Zusammenfassung mit reicher weiterer Literatur. Auf folgende, einen guten Zugang zur Materie vermittelnde Publikationen sei hingewiesen: P. Gleirscher, Zum eisenzeitlichen Brandopferplatz am Rungger Egg bei Seis am Schlern (Südtirol), in: Die Räter - I Reti, 1992, 567 - 580; Kult der Vorzeit in den Alpen. Opfergaben - Opferplätze - Opferbrauchtum, Ausstellungskatalog Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 1997, bes. 54 ff. Die im Druck befindliche Publikation von P. Gleirscher, U. Nothdurfter und E. Schubert, Das Rungger Egg, Römisch-Germanische Forschungen, lag dem Verf. leider noch nicht vor. 
7 Fundnr. 53, Beta-135576: 2750 +/- 50 BP = cal BP 2970 to 2770 = cal 1020 to 820 BC (1020 bis 820 vor Christi Geburt).
8 Dies scheint bislang nur beim Brandopferplatz auf der Pillerhöhe in Tirol gesichert, vgl. M. Tschurtschentaler, Archäologie Österreichs 5/1, 1994, 51 ff.; 6/1, 1995, 50 f.; 7/1, 1996, 14 ff. (gem. mit U. Wein).
9 As, RIC 299, geprägt 85 nach Christi Geburt; Bestimmung U. Schachinger, Graz.
10 W. Krämer, Prähistorische Brandopferplätze, in: Helvetia Antiqua. Festschrift Emil Vogt, 1966 111 - 122.
11 Weiss 29 und 109.
12 Weiss 93.
13 Weiss 83 und 90.
14 Weiss 72.
15 So ist z. B. auch mit Weiss 170 die Deutung der zweifellos als Siedlungsplatz anzusprechenden, vom Verein ANISA ergrabenen bronzezeitlichen Fundstelle auf der Lackenmoosalm als Brandopferplatz (so P. Gleirscher, Brandopferplätze, Depotfunde und Symbolgut im Ostalpenraum während der Spätbronze- und Früheisenzeit, in: Archäologische Forschungen zum Kultgeschehen in der jüngeren Bronzezeit und frühen Eisenzeit Alteuropas, Regensburger Beiträge zur Prähistorischen Archäologie 2, 1996, 433) abzulehnen.
16 Weiss 33 und Abb. 17.
17 Diese Verbreitungsgebiete werden nur schwer mit einer (rätischen ?) "Kulturprovinz" zu erklären sein; vgl. Weiß 42. Zu öfters angezogenen scheinbaren (?) Analogien im griechischen Opferbrauch (z. B. in Olympia nach der Beschreibung von Pausanias V 13, 8) vgl. Weiss 81.
18 Weiss 170.
19 Vgl. Weiss 109 f.




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