Beitrag wurde am 10.09.2022 ins Netz gestellt. Letzte Aktualisierung: 16.09.2022
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Forschungsberichte der ANISA für das Internet. 5, 2022 (ANISA FB 5, 2022)
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24 Jahre Gletscherzustandsberichte der ANISA, Verein für alpine Forschung
Die Gletscherberichte, Gletscherzustandsberichte und Gletschermessungen der ANISA versuchen mit vielfältigen Bilddokumentationen den Klimawandel und die Auswirkung der Gletscherbewirtschaftung auf die Umwelt sowie auf das sich dadurch wandelnde Landschaftsbild zu veranschaulichen. Sie wollen die wissenschaftliche Glaziologie, die insbesonders auf den Dachsteingletschern unter mangelnder Kontinuität leidet, bereichern und ergänzen. Die Mitglieder der ANISA liefern im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Forschungsansätze, Fotografien, Messmarken und unterstützende Dokumente für die Glaziologie. Wir verlangen jedoch bei Inanspruchnahme unserer Daten auf die Quelle zu verweisen!
Gletscherbericht 2022
Schladminger Gletscher
Dachsteingebirge
Oberösterreich und Steiermark
von Franz Mandl
Einleitung
Das Dachsteingebirge inmitten von Österreich ist Teil der Nördlichen Kalkalpen, die sich von Wien bis zum Bodensee erstrecken. Im Norden davon liegt der weltbekannte Ort Hallstatt und im Süden die steirische Ramsau. Das Gestein des Gletscherareals besteht zum überwiegenden Teil aus gebanktem Dachsteinkalk (Geologische Karte der Dachsteinregion, Wien 1998). Die sieben stark abschmelzenden Dachsteingletscher sind die östlichsten Gletscher der Alpen und befinden sich in einer Höhe zwischen 2210 m und 2900 m.
Wetter 2022:
Der Winterschnee bildete heuer eine bis zu 4 m hohen Schneedecke. Während des überdurchschnittlich warmen Frühjahrs und Sommers schmolz die Schneedecke auf den Gletschern des Dachsteingebirges rasch ab.
Aktuelle Informationen und Rückblicke
Bereits Mitte Juni kam im Bereich der Messlinie und beim Gletschersee das blanke Eis des Gletschers zum Vorschein. Die vom Saharasand verschmutzte Schnee- und Eisdecke des zugefrorenen Gletschersees begann aufzutauen. Ebenfalls im Juni wurde die Trasse des Schladminger Gletscherlifts mit Thermo-Sonnenschutzplanen abgedeckt.
Der Schnee wurde mit Pistenraupen weiträumig zu den Liftsockeln, der Lifttrasse, der Rampe zur Talstation des Schladminger Gletscherliftes und zur Liftstütze am großteils noch zugefrorenen kleinen Gletschersee mit seinen schmutzigen Schnee- und Eisschollen geschoben. Große Schneemengen wurden wieder auf dem mit elektrischer Energie gekühlten "Eispalast" deponiert. Am 30. Juli 2022 war wegen des warmen Wetters im Juni (bis zu 24°C) bereits ein Drittel schneefrei. Die Gletscherschmelze schreitet in einem bislang noch nicht bekannten Tempo voran. Die Reaktion der Bewirtschafter ist eine emsige Schneeverfrachtung mit Pistenraupen von noch schneereichen Schattenlagen zu den ausapernden Liftanlagen. Schwarze Schmutzflecken werden neben einigen Liftstützen sichtbar. Die Loipe auf dem Schladminger Gletscher ist bereits zur Hälfte schneefrei und wurde zur Nordwand des Koppenkarsteins hinaufverlegt. Auch die Schneerampe zum Mittersteinlift wurde mit Thermoplanen abgedeckt. Der Schneesaum an der ANISA-Messlinie beträgt nur noch an die 5 m. Der Gletschersee ist wegen des Schmelzwassers und der Gewitterniederschläge erheblich größer geworden. Am 1. September war die Rampe zum Mittersteinlift bereits wieder abgedeckt und der schmutzige, mehrere Jahre alte Schnee kam zum Vorschein. Der Gletscher war am 4. September zu 99% schneefrei bzw. ausgeapert. Am Gjaidsteinsattel beträgt der Abstand zwischen Eis und Felsen nur noch 36 m. An der ANISA-Messlinie ist die Bankung des Dachsteinkalks durch das Abschmelzen gut sichtbar geworden.
Anmerkung zur Gletscherforschung
Die Dokumentation des Längenrückzugs und die Absenkung der Eisdecke des Gletschers sind einfache Tätigkeiten, die durchaus ehrenamtliche Mitarbeiter durchführen können. Was für die Dachsteingletscher jedoch fehlt, sind Sedimentanalysen und Gletschereisdatierungen. Hier könnte man wichtige Ergebnisse zur Bodenbedeckung und Gletscherverschmutzung erzielen. Die ANISA hat schon 2001 mit Prof. Dr. Gernot Patzelt am Rande des Hallstätter Gletschers immerhin Radiokohlenstoffdatierungen durchgeführt. 2019 ist darüber ein Beitrag von G. Patzelt auf www.anisa.at erschienen. Aber warum ignorieren Fachleute, die sich lediglich auf die Massenabnahme der Gletscher konzentrieren, eine moderne und innovative Forschung?
Gletscherbegehungen und Gletschermessungen 2022
Schladminger Gletscher
Begehungen 2022. Der Schladminger Gletscher war am 21.07. zu 60%, am 29.07. zu 70%, am 11.08 zu 90% und am 01.09.2022 zu 99% ausgeapert. Eine derart massive Ausaperung des Gletschers hat es seit seiner Dokumentationsgeschichte noch nie gegeben.
Blick vom Hohen Gjaidstein zum Schladminger Gletscher mit Koppenkarstein. Foto: ANISA/Mandl, 11.08.2022
Der Gletscher reichte auf der Ostseite des Hunerkogels um 1850 noch 60 m höher hinauf, wie dies durch die dunkle, vom Eis abgedeckte Zone der Felswand auf einer Abbildung von 1930 klar hervorgeht. Friedrich Simony schreibt in seinem Dachsteinwerk (1895,139): "Ebenso haben sich die Firnmassen des Gletschers inzwischen merklich erniedrigt, denn der Gipfelrücken des Hunerkogel, welcher in den Sechzigerjahren [Betrachtung des Zeitraumes zwischen 1867 und 1885] auf der Spitze des kleinen Koppenkarstein noch nicht zu sehen war, überhöht daselbst gegenwärtig als schmaler dunkler Saum den obersten Firnrand." Dies entspricht der Höhe der heutigen Terrasse der Bergstation auf 2687 m. Für die Errichtung der Bergstation wurde zu Ende der 1960er Jahre der Gipfel des Hunerkogels weggesprengt. Der Gletscher erreicht heute am Wandfuß des Hunerkogels die Höhe von 2625 m. Das ergibt einen Höhenunterschied von ~60 m.
Das östliche Ende des Schladminger Gletscher am 29.07.2022. Foto: ANISA/Mandl
ANISA-Koppenkarstein-Messlinie
Die Messlinie der ANISA zieht sich vom Messstein bis zur Nordwand des Koppenkarsteins durch ein seichtes Karsttal. Das bedeutet, dass sich der Gletscher in einen Gegenhang zurückzieht, wodurch sich sein Längenrückzug erheblich verlangsamt.
Begehung: 04.09.2022
Der Längenrückzug der Periode 2021-2022 beträgt 10,61 m mit einer Eisabsenkung an der Messmarke von 1,8m/2538 m. GPS-Messung: UTM T33 0397063-5258459. Berücksichtigt man die Hangneigung hinauf zur Koppenkarsteinnordwand mit 10° am Messpunkt zwischen 2021 und 2022 erhöht sich die Eisabsenkung um weitere ca. 2 m. Damit hat sich der Gletscher in diesem Bereich um ca. 3,5 m abgesenkt.
Die negative Massenbilanz ist die bisher größte, seit es Aufzeichnungen gibt.
Unsere Gletschermarken-Skala belegt vom Fixpunkt 1947 bis zur Messmarke 2003 an der nach Süden gerichteten Wand einen Längenrückzug von 15,35 m, von 2003 bis 2021 von 84,76 m. Der durchschnittliche jährliche Rückzug beträgt in den 56 Jahren von 1947 bis 2003 nur 0,274 m. Dieser langsame Rückzug ist mit der beinahe senkrechten Absenkung an dieser 11,32 m hohen Stauwand erklärbar. In den 18 Jahren von 2003 bis 2021 zog sich der Gletscher von den im flacheren Bereich des Gletscherbettes liegenden Messmarken durchschnittlich um 4,71 m pro Jahr zurück. Im überdurchschnittlich warmen Sommer 2022 beträgt der Längenrückzug 10,61 m. Die Eishöhe senkte sich an unserer Messmarke lediglich um 2 m. An Eishöhe verlor der Gletscher in den 56 Jahren von 1947 bis 2022 auf der 2600-m-Höhenschichtlinie der Österreich Karte von 1934 ca. 55 m. Seit 1850 ist mit einer Abnahme der Eishöhe von mindestens 100 m zu rechnen. Noch vor 50 Jahren existierte hier ein steiler Eisrücken.
Osthang (tiefste
Stelle des Schladminger Gletschers
Begehung: 29.07.2022
Gjaidsteinsattel
Gjaidsteinsattel, 2621 m. In der Hübnerkarte von 1899 liegt der Sattel auf 2649 m. Der Gletscher erreichte um 1880 noch die 2668 m hoch gelegene Kuppe, auf der heute ein Strommast für die Versorgung der Lifte steht.
Begehung: 29.07.2022 und 04.09.2022
Am Gjaidsteingrat wurden beim Strommast (2660 m) und beim Wegweiser (2642 m) Tachymetermessungen durchgeführt
Gletschersee
2003 bildete sich erstmals ein kleiner Gletschersee mit einer Schwinde in der das Wasser abfließen konnte. Mit dem zurückweichenden Gletscher verschwand dieser See und es bildete sich 2010 weiter südlich ein neuer See. Zuerst unauffällig, vergrößerte es sich Jahr für Jahr und erreichte 2021 eine Länge von 100 m. 2022 erreichte er bereits eine Länge von 126 m. Sein Abfluss erfolgt ebenfalls durch eine Schwinde. Der Seespiegel bleibt aber weitgehendst stabil.
Der vom Schmelzwasser gespeiste, inzwischen 126 m lange Gletschersee mit Schladminger Gletscher. 13.09.2022. Foto: ANISA/Mandl
Blick vom Grat des Niederen Gjaidsteins zur neuen Talstation des Schladminger Liftes, 2022. Das Schmelzwasser des Gletschers wird nun zwischen den Liftstützen und der abgedeckten Lifttrasse in den neu gebildeten Gletschersee geleitet. 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Gletscherruine mit Pflaster, 2022. Mit riesigen Sonnenschutzplanen aus Plastikfasern versucht man verzweifelt das Abschmelzen der Schneedecke über dem Eispalast und auf den Lifttrassen zu verzögern. Zugleich tauchen Felsinseln aus der sich senkenden Eisdecke hervor. Im Hintergrund die Skyline zum Eispalast mit Hängebrücke. 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Gjaidsteinsattel am 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Gjaidsteinsattel am 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Stufen für die Exklusivität im hochalpinen Raum. Gjaidsteinsattel am 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Fotodokumentation
Baggerarbeiten am immer schwieriger werdenden Zugang zum Rosmarie-Stollen am 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Sonnenschutzplanen für das Loipenschneedepot. 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Baggerarbeiten auf dem Schladminger Gletscher. 11.08.2022. Foto: ANISA/Mandl
Mit Eisgranulat abgedeckter Liftsockel. In diesem Bereich begannen bereits am 04.09.2022 die Felsen aus dem Gletscher auszuapern. Foto: ANISA/Mandl
Der Hallstäter Gletscher vom Gipfel des Hohen Gjaidsteins.
Blick vom Hohen Gjaidstein auf dem Hallstätter Gletscher. 11.08.22. Foto: ANISA/Mandl
Die Gletscherzunge des Hallstätter Gletschers. 11.08.22. Foto: ANISA/Mandl
Der Eisstein. Im Nordbereich zieht sich der Gletscher zurück. Hallstätter Gletscher. 11.08.22. Foto: ANISA/Mandl
Allgemeine Hintergrundinformationen
Berücksichtigt man im Luftbild als Messpunkte die sichtbaren Moränen, Schotterflächen, Erosionsflächen, Vegetationsgrenzen und den Gjaidsteinsattel, so betrug die max. Fläche des Schladminger Gletschers mit Einbeziehung der Gjaidsteinosthänge (ohne Berücksichtigung der Horizontalprojektion) 1845/1950 annähernd 3 km². Der Umfang betrug etwa 9 km. (Quelle: Orthofoto, DORIS-Intermap des Landes Oberösterreich.)
Friedrich Simony (1895, 137) gibt für den Schladminger Gletscher für die Zeit um 1880 eine Fläche von 199 ha an. Erik Amberger/Erwin Wilthum errechneten 1951 für den Schladminger Gletscher folgende Ausdehnungen: 1856/225 ha, 1872/199 ha, 1899/180 ha, 1928/125 ha, 1934/97 ha, 1951/81 ha. Das entspricht einen Flächenverlust von 64% zwischen 1856 und 1951.
2022 wies der Schladminger Gletscher eine Fläche von nur noch annähernd 0,60 km² auf. Das entspricht etwa einem Fünftel der ursprünglichen Fläche. Der Umfang beträgt 3,6 km (Orthofoto, DORIS-Intermap des Landes Oberösterreich). Der Eismassenverlust ist als fundamentaler Wert zu betrachten. Da nicht nur vier Fünftel an Gletscherfläche verloren gegangen sind und auch vom letzten verbleibenden Fünftel etwa die Hälfte bereits abgeschmolzen ist, kann man lediglich von einem verbleibenden Zehntel der Eismasse von 1850 ausgehen. Wegen der fehlenden Werte der Eishöhen bzw. der dazu notwendigen verlässlichen Profile sind diese Angaben als Überschlagsrechnungen zu werten. Wesentlich für die Abnahme der Gletschermasse auf unseren Karst- und Kargletschern ist die Abnahme der vertikalen Eishöhe und nicht der Längenrückgang eines Gletschers. Aus Beobachtungen der letzten 15 Jahre können einem Meter Längenrückgang etwa ein Meter vertikale Eisabnahme gegenübergestellt werden. Dieser Wert belegt einen zunehmenden Volumenverlust und eine Beschleunigung der Klimaerwärmung. Mit Eishöhenprofilen kann die Massenbilanz genauer berechnet werden. Beim Hallstätter Gletscher kann man als Überschlagsrechnung davon ausgehen, dass von der verbleibenden Fläche von etwa 50 % des maximalen Vorstoßes um 1850 (die große eisfrei gewordene Insel rund um den Eisstein wurde berücksichtigt) auch diese nur noch eine Massenbilanz von einem Viertel aufweisen wird. Trotz der abnehmenden Massenbilanz der Gletscher darf festgestellt werden, dass sich durch den Rückzug auf größere Höhen und der dort herrschenden tieferen Temperaturen der Längenrückzug und der Eismassenverlust verlangsamen werden. Bei Radartiefenmessungen auf dem Schladminger Gletscher von 2007, die der Bewirtschafter der Gletscher in Auftrag gegeben hat, wurden immerhin Tiefen von 130 m erreicht. Falls diese stimmen (man sollte diesen Messungen Ungenauigkeiten zugestehen, da am unteren Gletscherrand angegebene Tiefen von bis zu 50 m inzwischen eisfrei oder beinahe eisfrei geworden sind!), wird der Schladminger Gletscher möglicherweise noch in 50 Jahren als kleiner warnender toter Eisfleck an einen Gletscher erinnern.
Der vom Koppenkarstein herabgestürzte Sprengschotter vom Bau der Militärstation Anfang der 1970er-Jahre hat 2014 das Gletscherende erreicht. Zwischen Felswand und Schotterkegel entstand in den vergangenen 51 Jahren ein Abstand von 260 m. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Schuttkegel erst an flacherer Stelle auf dem Gletscher bildete und nicht gleich an der sehr steilen Wandzone. Zusammenfassend kann im letzten Jahrzehnt eine verstärkte Abnahme der Eismasse festgestellt werden, die mit der derzeitigen wissenschaftlich belegten anthropogen beeinflussten Klimaerwärmung korreliert.
Auf dem etwa 100 m höher gelegenen Gjaidsteinsattel wurden ähnliche Verhältnisse wie bei unseren beiden Messsteinen am Rand des Schladminger Gletschers vorgefunden. 1896 berichtet M. Groller, dass der Grat "an der Schneide der beiden benachbarten Gletscher mit einer sehr zerklüfteten und verwitterten Endkuppe (2668 m) unter dem Firn" verschwinde. Diese "Endkuppe" kann nur die Erhebung, auf der heute ein Strommast steht, sein. Die hier 2014 durchgeführte Tachymetermessung ergab ebenfalls die Höhe von 2668 m! In der Gletscherkarte von A. Hübner 1901 reichte das Eis am Gjaidsteinsattel nur noch bis 2649 m. Von diesem Messpunkt bis zum Messpunkt von 2015 hat sich der Gletscher um 107 m zurückgezogen (Maßband und Lasermessung).
Die Denudationsentwicklung des Dachsteinkalks an den eisfrei gewordenen Bankungen und Karstgassen am Rande des Schladminger Gletschers
Die Denudation der aus dem Eis geaperten Karstgassen ist an deren Seitenwänden geringer als auf deren kantengerundeten Graten. Die in diesen Gassen angesammelten Steine liegen auf dem Eis und weisen eine beachtliche Masse auf, die an den Wänden durch das Mitsinken frische Runsen und Kratzer hinterlassen. Die vom Gletschereis frei gewordenen Karstgassen liegen in einem nur leicht geneigtem Gelände in einer wilden zerklüfteten Karstlandschaft quer zum Gletscherabfluss. Das einstige in den Karstgassen und Dolinen gestaute Eis konnte dem oberen Gletscherabfluss nicht folgen. Diese Eislager erreichten Höhen bis zu 30 m. Der Denudationsunterschied zu weiter entfernten Klüften und Karstgassen ist hier viel geringer. Zweifellos ist das 2017 frei gewordene Areal viel länger unter einer Eisdecke gelegen als das hinter der Messmarke von 2003. Mit einer Datierung dieses Denudationsspektrums könnten wichtige Daten zu Langzeitständen des Gletschers und zur Klimageschichte der letzten 12.000 Jahre gewonnen werden. Vgl. dazu den Beitrag zur 12.000-jährigen Klimageschichte auf den Seiten der Zentralanstalt für Metrologie und Geodynamik: https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/informationsportal-klimawandel/klimavergangenheit/palaeoklima/12.000-jahre.
Glazialerosion
Die Glazialerosion formte ein postglaziales (nacheiszeitliches), hufeisenförmiges Gletscherbett. So entstand ein Kar mit allen durch die Ablation sichtbar gewordenen Merkmalen eines Gletschers: Stirn- und Seitenmoränen, Schotterablagerungen, erodierten Felsen, einem kleinen Eissee und einem beinahe bewegungslosen, absterbenden Eiskörper. Die Eishöhe dieses Gletscherareals im Jahr 1850 lässt sich an der Nordwand des Koppenkarsteins an dunkel bzw. hell verfärbten Rändern erkennen. Dieser Durchschnittswert wurde nur durch Klimaschwankungen verändert. Die Klimaforschung belegt für die Alpen zwischen 4000 bis 2000 vor Chr. eine Klimaerwärmung um 2° bis 3 °C. In diesem Zeitabschnitt sind unsere Gletscher weitgehend abgeschmolzen (vgl. Das Lexikon zu Glaziologie, Schnee- und Lawinenforschung der Schweiz. Hrsg. v. d. Redaktion Schweizer Lexikon und der Gletscherkommission der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Luzern 1993). Die ältesten noch erhaltenen Eisreste in den Karstgassen und Dolinen des Schladminger Gletscherareals könnten jedoch wegen der extremen Nordstaulage älter als 4000 Jahre sein. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Zeit des prähistorischen Klimaoptimums mit der Neolithischen Revolution korreliert. Es ist eine Kulturrevolution und Aufbruchszeit des Ackerbaues und der Viehzucht. Dazu kommt später die Metallverarbeitung von Kupfer und Bronze. Für diese Erneuerung wurden von Asien (bereits ab 8000 v. Chr.) bis Europa riesige Brandrodungen durchgeführt, die sogar noch in den südlich gelegenen Alpen nachweisbar sind (vgl. PATZELT, Gernot: Datierung von Feuerstellen in prähistorischen Hirtenhütten im Waldgrenzbereich ostalpiner Gebirgsgruppen. Praearchos 4/2013, 34, 60-63). Zweifellos haben diese Brandrodungen mit ihren gewaltigen Kohlendioxyd-Emissionen erstmals in der Menschheitsgeschichte eine anthropogene Klimaerwärmung verursacht! Dazu benötigte der neolithische Klimawandel mehrere tausend Jahre. Der aktuelle industriell verursachte Klimawandel hat dagegen in nur 200 Jahren eine solche Klimaerwärmung, die zudem noch weiter fortschreitet, zu Stande gebracht.
Literatur:
ARNBERGER, Erik/WILTHUM, Erwin: Die Gletscher des Dachsteinstockes in Vergangenheit und Gegenwart. In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. 97. Band, Linz 1952, 181-214.PATZELT, Gernot: Die prähistorische Gletscher- und Vegetationsentwicklung im Bereich des Hallstätter Gletschers (Dachsteingruppe). https://www.anisa.at/Hallst%C3%A4tter%20Gletscher,%20Dachsteingruppe_Patzelt_2019.html
REINGRUBER, Klaus: Gletscherrückgang am Beispiel Dachstein. In: bergundsteigen,
100 (2017), 64-66.
REITMAIER, Thomas (HG.): Gletscherarchäologie. Kulturerbe in Zeiten des
Klimawandels. Darmstadt 2021.
SIMONY, Friedrich: Das Dachsteingebiet. Ein geographisches Charakterbild aus den
Österreichischen Nordalpen. Wien 1895. 124-150.
SIMONY, Friedrich: Über die Schwankungen in der räumlichen Ausdehnung der
Gletscher des Dachsteingebirges während der Periode 1840 - 1884. In:
Mitteilungen der Kais. Königl. Geographischen Gesellschaft in Wien. Band XXVIII,
1885, 117.
TIEBER, Alexandra/LETTNER, Hebert/HUBMER, Alexander/BOSSEW, Peter/SATTLER,
Birgit: Anreicherung von Radioaktivität in Kryokoniten (Schmutzrinde) auf dem
Hallstätter Gletscher. In: Forschungeberichte der ANISA 2, 2009, 177-180.
Schlag
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weiterführende Links:
https://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2021.html
https://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_Hallstaetter_Gletscher_2021.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2020.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_Hallstaetter_Gletscher_2020.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2019.html
http://www.anisa.at/Gletscher_Plogging_2018_ANISA.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_Hallstaetter_Gletscher_2018.html
http://www.anisa.at/Waldhorngletscher_2018_ANISA.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_ Dachsteingebirge_2017.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_ Dachsteingebirge_2016.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2015.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2014.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2013.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2012.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2011.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2010.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2009.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2008.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2003.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_1999.htm
Dachstein-Chronologie: Dachstein Chronologie.htm