Beitrag wurde am 17.09.2024 ins Netz gestellt. Letzte Aktualisierung: 18.09.2024
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Forschungsberichte der ANISA für das Internet. 3, 2024 (ANISA FB 3, 2024)
Aktualisierungen vorbehalten!
Die Gletscherberichte, Gletscherzustandsberichte und Gletschermessungen der ANISA versuchen mit vielfältigen Bilddokumentationen den Klimawandel und die Auswirkung der Gletscherbewirtschaftung auf die Umwelt sowie auf das sich dadurch wandelnde Landschaftsbild zu veranschaulichen. Sie wollen die Glaziologie, die insbesonders auf den Dachsteingletschern unter mangelnder Kontinuität leidet, bereichern und ergänzen. Die Mitglieder der ANISA liefern im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit Forschungsansätze, Fotografien, Messmarken und unterstützende Dokumente für die Glaziologie und für interessierte Wanderer und Bergsteiger.
Gletscherbericht 2024
Schladminger und Hallstätter Gletscher
Dachsteingebirge
Oberösterreich und Steiermark
von Franz Mandl
26 Jahre Schladminger Gletscherdokumentationen der ANISA, Verein für alpine Forschung
Eine kleine Zeitreise: 1999, 2000, 2001, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008, 2009, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, 2022, 2023, 2024
Einleitung
Das Dachsteingebirge inmitten Österreichs ist Teil der Nördlichen Kalkalpen, die sich von Wien bis zum Bodensee erstrecken. Im Norden davon liegt der weltbekannte Ort Hallstatt und im Süden die steirische Ramsau. Das Gestein im Gletschervorfeld besteht zum überwiegenden Teil aus gebanktem Dachsteinkalk (Geologische Karte der Dachsteinregion, Wien 1998). Die sieben stark abschmelzenden Dachsteingletscher sind die östlichsten Gletscher der Alpen und befinden sich in einer Höhe zwischen 2240 m und 2900 m.
Anmerkung zur Gletscherforschung
Die Dokumentation des Längenrückzugs und der Absenkung
der Eisdecke des Gletschers sind einfache Tätigkeiten, die durchaus
ehrenamtliche Mitarbeiter durchführen können. Was für die Dachsteingletscher
jedoch fehlt, sind Sedimentanalysen und Gletschereisdatierungen. Hier könnte man
wichtige Ergebnisse
zu Bodenbedeckung, Gletschergeschichte und Kontaminierung erzielen. Die
ANISA hat schon 2001 mit Prof. Dr. Gernot Patzelt am Rande des Hallstätter Gletschers
Radiokohlenstoffdatierungen durchgeführt. 2019 ist darüber ein Beitrag von G. Patzelt
in www.anisa.at,
Gernot Patzelt:
Die prähistorische Gletscher- und Vegetationsentwicklung im Bereich des
Hallstätter Gletschers. (Dachsteingruppe), 2019.
Aktuelle Informationen und Rückblicke
Ein Teil der Lifte auf dem Schladminger Gletscher wurden 2023 abgebaut. Die rasante Eisabsenkung hatte zuvor zu immer wiederkehrenden Anpassungen der Liftstützen gezwungen. Die Schneedepots neben der Nordwand des Koppenkarsteins bleiben für den Langlaufsport erhalten. Zusammenfassend kann während der 55-jährigen Bewirtschaftung des Schladminger Gletschers ein erheblicher nachteiliger Eingriff durch Verschmutzung, Vermüllung und Baggerarbeiten beobachtet werden.
Der Schladminger Gletscher 2024
Am 10. August 2024 war der Schladminger Gletscher zu 75% blank (schneefrei). Der Altschnee war am Gletscherrand im Bereich der ANISA-Messlinie gerade erst an diesem Tag abgeschmolzen und gab die Messmarke von 2023 frei. Bereits am 31. August 2024 war der Gletschers wegen des sehr heißen Wetters zu 95 % schneefrei. Das abschmelzende Wasser floss in mehreren quer über das Gletschereis verlaufenden Loipenrandrinnen gegen Osten ab. Diese kompakten, von den Pistenraupen festgepressten Loipentrassen für den Schilanglauf schmelzen etwas langsamer als die natürliche Schneedecke. An deren Ende floss das Wasser gegen Norden in tiefe ausgewaschene Gräben rauschend zum Gletscherrand hinab. Dadurch konnte ein Überlaufen des westlich davon gelegenen Gletschersees vermieden werden. Ebenfalls am 31. August 2024 wurde das Ostende des Schladminger Gletschers eingemessen: UTM33: E 0397740-N 5258277, 2448 m. Am 7. September 2024 erfolgte die zweite Messung an unserer Messlinie: UTM33: E 0397062-N 5258458, 2540/2545 m. Nur noch im Schatten der Koppensteinnordwand befand sich ein unterbrochener Schneesaum. Vom 10. bis 16. September 2024 schneite es auf dem Dachsteingebirge. Die Neuschneedecke erreichte teilweise eine Höhe von mehr als 100 cm. Dadurch wird wohl die Messperiode 2024 bereits zu Ende sein. Falls sich wider Erwarten Änderungen ergeben, werden wir den Beitrag aktualisieren. Im Osten Österreichs gab es in diesem Zeitraum katastrophale Überschwemmungen, die von der Fachwelt einhellig mit der Klimaerwärmung in Verbindung gebracht werden.
Klimawandel durch von Menschen verursachte Klimaerwärmung
Wie erklärt man die derzeitige rasante Klimaerwärmung?
Während sich früher nachhaltige Klimaänderungen in Jahrhunderten bzw. Jahrtausenden vollzogen haben, ist nun eine anthropogene Warmzeit angebrochen, die im alpinen Raum bereits in wenigen Jahrzehnten eine noch nicht abgeschlossene durchschnittliche Temperaturerhöhung von 2° C ermöglichte. Diese Erwärmung führt zu den inzwischen gehäuften Starkniederschlagsereignissen und Stürmen mit ihren zerstörerischen Ergebnissen.
Temperaturverlauf von 1760 bis 2024. Quelle: GeoSphere Austria (ZMAG)
Vorläufige Bilanz der GeoSphere Austria zum meteorologischen Sommer 2024: Über die gesamte Fläche Österreichs gesehen war es der zweitwärmste Sommer der Messgeschichte. Im Tiefland war es der wärmste Sommer der 258-jährigen Messreihe. Der Sommer 2024 ist die vierte extrem warme Jahreszeit in Folge in Österreich. Auch der Herbst 2023, der Winter 2023/24 und der Frühling 2024 lagen in der jeweiligen Messreihe unter den Top 3. https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/einer-der-waermsten-sommer-der-messgeschichte-1 . Näheres zum Klimawandel findet der Leser unter: GeoSphere Austria https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/informationsportal-klimawandel/klimavergangenheit/palaeoklima.
Dementsprechend schmelzen nun unsere Gletscher rascher ab. Von einstmals annähernd 1 m Rückgang der Eisdicke pro Jahr sind es in den letzten Jahren auf dem Schladminger Gletscher durchschnittlich 2 m geworden. Diese Eisdickenabnahme korreliert mit dem abgebildeten Temperaturverlauf von 1760 bis 2023. Quelle: GeoSphere Austria (ZMAG). Der derzeit verwendete Durchschnittswert der Eisdickenabsenkung unserer Alpengletscher wird seit dem Maximalvorstoß um 1850 mit ~1 m angegeben ( FISCHER, A., 2023, 30).
Gletscherbegehungen und Gletschermessungen 2024
Der Schladminger Gletscher war am 07.09.2024 zu 99% ausgeapert. Der Bereich unserer Messlinie ist möglicherweise noch von einem etwa 50 m tiefen Karsttal geprägt. Das bedeutet, dass der Gletscherrückgang einer Steilstufe nach unten folgt und auch die Hangneigung zur Nordwand des Koppenkarsteins berücksichtigt werden muss.
Blick vom Hohen Gjaidstein (2794 m) zum Schladminger Gletscher mit Koppenkarstein (2863 m), Hunerkogel (2687 m) und Bergstation der Dachstein-Seilbahn. Gelb eingezeichnet ist die Messlinie der ANISA. Die strichlierte Linie zeigt die maximale Glettscherausdehnung in der Neuzeit (um 1855). Foto: ANISA/Mandl, 02.09.2023. Der Gletscher reichte auf der Ostseite des Hunerkogels um 1850 noch 60 m höher hinauf. Bereits Friedrich Simony bemerkt einen Rückgang und schreibt in seinem Dachsteinwerk (1895,139): Ebenso haben sich die Firnmassen des Gletschers inzwischen merklich erniedrigt, denn der Gipfelrücken des Hunerkogels, welcher in den Sechzigerjahren [Betrachtung des Zeitraumes zwischen 1867 und 1885] auf der Spitze des kleinen Koppenkarstein noch nicht zu sehen war, überhöht daselbst gegenwärtig als schmaler dunkler Saum den obersten Firnrand. Dies entspricht der Höhe der heutigen Terrasse der Bergstation auf 2687 m. Für die Errichtung der Bergstation wurde zu Ende der 1960er Jahre der Gipfel des Hunerkogels weggesprengt. Der Gletscher erreicht heute am Wandfuß des Hunerkogels die Höhe von 2625 m. Das ergibt einen Höhenunterschied von ~60 m. Der horizontale Blick gegen Süden verursacht eine erhebliche Perspektivenverkürzung!
ANISA-Koppenkarstein-Messlinie 2024
Die Messlinie der ANISA zieht sich vom Messstein bis zur Nordwand des Koppenkarsteins durch ein seichtes Karsttal. Das bedeutet, dass sich der Gletscher in einen Gegenhang zurückzieht, wodurch sich sein Längenrückzug erheblich verlangsamt.
Die jährliche Abnahme der Eisdicke kann aus dem jährlichen Längenrückzug sowie der Hangneigung und der Talneigung errechnet werden:
Begehung: 07.09.2024
Vom 13.10.2023 bis 07.9.2024 zog sich der Gletscher an der ANISA-Messstelle um 1,8 m zurück. Auch die Eishöhe nahm unter Berücksichtigung der Hangneigung insgesamt um 1,8 m ab. UTM T33 397062-5258458, 2540 m. Der Zeitraum der Schmelzperiode am unteren Gletscherrand der Messlinie betrug 2024 lediglich 30 Tage! Dieser Messwert ergibt an unserer Messlinie eine durchschnittliche tägliche Eishöhenabschmelze von 6 cm.
Rückblick: In den 56 Jahren zwischen 1947 und 2003 zog sich der Gletscher lediglich um 15,35 m zurück und die Eishöhe senkte sich um 11,34 m, das entspricht lediglich 0,2 m/Jahr. Dieser langsame Rückzug ist mit der beinahe senkrechten 11,32 m hohen Stauwand und der Stagnation des Gletscherrückgangs zwischen 1947 und 1985 zu erklären. In diesem Zeitraum kam es auch zu kleinen Gletschervorstößen. Noch vor 50 Jahren existierte in diesem Bereich ein steiler Eisrücken hinauf zur Nordwand des Koppensteins. Der Sommer 2003 war ungewöhnlich warm. Bis 2023 häuften sich die warmen Sommer. In diesen 20 Jahren zog sich der Gletscher um weitere 100,77 m zurück. Die Eisdecke reduzierte sich unter Berücksichtigung der Hangneigung (~14°) um 30,6 m. 2022 senkte sie sich an unserer Messmarke sogar um 3,5 m. Auch 2023 wurde die 3-m-Grenze überschritten.
Messmarke am 07.09.2024. Die letzten Messungen erfolgten am 23.10.2023 und am 07.09.2024. Foto: ANISA/Mandl
Messmarke am 18.09.2024. Von 10.09 bis 16.09.2024 schneite es auf dem Dachsteingebirge ungewöhnlich stark. Auf der freien Gletscherfläche wurden 90 cm bis 110 cm Schneehöhe gemessen. In unserer 26jährgen Messgeschichte stellt diese Schneedecke einen mit Abstand neuen Höhenrekord dar. Bei unserer Messmarke entstand im Abstand von 5 m eine Schneewechte mit 210 cm Höhe. Foto: ANISA/Mandl
Osthang: tiefster Punkt des Gletschers = 2448 m
Begehung: 31.08.2024
Messmarke an der tiefsten Stelle des östlichen Randes des Schladminger Gletschers. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024
Blick in den Osthang des Schladminger Gletschers mit seiner wannenförmig erodierten unteren Koppenkarsteinnordwand. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024
Gjaidsteinsattel
Gjaidsteinsattel, 2621 m. In der Karte von Hübner (1899) liegt der Sattel auf 2649 m. Der Gletscher erreichte um 1880 noch die 2668 m hoch gelegene Kuppe, auf der heute ein Strommast steht.
Gjaidsteinsattel. Bis zur Trennung zwischen Schladminger und Hallstätter Gletscher fehlten 2023 noch 28 m, 2024 nur noch 15 m (21 m mit Eisaufschüttung für den touristisch genutzten Gletscherweg). Der tiefste Übergang wurde bereits 2022 eisfrei. Es handelt sich um eine von Osten nach Westen ausgerichtete 20 m lange Karstgasse. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024
Schladminger Gletscher Bildteil Forschung 2024
Feldforschung. Gletscherrand am Schladminger Gletschers. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024
Schladminger Gletschers. Das Schmelzwasser fließt in mehreren ausgeschwemmten Wassergräben ab. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024
Schladminger Gletscher. Eine Sedimentlinse im abschmelzenden Permafrostschotter weist auf prähistorischen Pflanzenbewuchs hin. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2023.
Wir betreiben auch Gletschermüll-Archäologie und Umweltschutz
Ein Bleibarren wurde in einem Schmelzwassergraben des Schladminger Gletschers entdeckt. Wie stark das Blei das Wasser über Jahrzehnte hinweg kontaminiert hat, bedürfte einer genaueren Untersuchung. Der Fund des 26 kg schweren Bleibarrens in einem Schmelzwasserabfluss ist ein Beleg für den schlampigen und leichtfertigen Umgang mit der Umwelt und dem Naturschutz auf dem Schladminger Gletscher. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Bergung des 26 kg schweren Bleibarrens aus dem Schmelzwassergraben des Schladminger Gletschers. Das Bleistück diente mutmaßlich zur Beschwerung von Kufenfahrzeugen und ist der Frühzeit (1969 bis 2000) der Gletscherbewirtschaftung zuzuordnen. Damals holte man bei Schneemangel mit Anhängern Schnee für den Schibetrieb von der Ostseite an der Koppenkarstein-Nordwand. Die Spurgeräte für die Langlaufloipen wurden anfangs an den Pistenraupen angehängt und mussten ebenfalls möglichst schwer sein. Foto: ANISA/Mandl, 07.09.2024
Bildteil: Zerstörerischer Tourismus
Blick durch ein Fangnetz auf den Gletscher. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Der von Thermotüchern geschützte Eispalast hebt sich bereits 10 m vom Restgletscher ab. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Ausgang aus dem künstlich angelegten Eispalast. Ein Schandfleck für den gesamten Alpenraum. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Kabine für den Langlauf. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Das mit Sonnenschutztüchern abgedeckte Schneedepot für den Langlaufsport liegt nun 2 m auf einem Eissockel über der rundherum abgeschmolzenen Eismasse. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Thermoschutztücher an der Bergstation Hunerkogel sollen das Abschmelzen des Permafrostbodens verhindern, was nur mäßig gelingt. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Ausgeaperte Steine stehen im Wege und werden zertrümmert. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Warteschlange vor dem Fotopoint auf der neu ausgebauten Bergstation Hunerkogel. Foto: ANISA/Mandl, 31.08.2024.
Blick vom Hohen Gjaidstein auf den Hallstätter Gletscher. Foto: ANISA/Mandl, 10.08.2024.
Allgemeine Hintergrundinformationen
Die ANISA-Messlinie wurde zwischen der Höhencote des Alpenvereins von 1947 und der Koppenkarnordwand fixiert. 1998 war dieser mit roter Farbe markierte Punkt nur noch schwach zu erkenen. Um diese historische Markierung nicht zu verlieren, wurde diese Marke inzwischen mehrmals nachgemalt. Einige Meter nach dieser Markierung wurde von der ANISA ein Bohrloch für einen Messnagel angefertigt und bestückt.
Nicht abgeschlossene Abschmelzvorgänge von Gletschern ergeben einen Mix aus dem Vor- und Messjahr. Unser Ziel war es deshalb, den Beginn des jährlichen Abschmelzprozesses und das Ende knapp vor der winterlichen Schneebedeckung des Kalenderjahres zu dokumentieren bzw. einzumessen. Dadurch erhält man exaktere Daten zum jährlichen Gletscherrückgang!
2003 bildete sich erstmals ein kleiner Gletschersee mit einer Schwinde, in die das Wasser abfließen konnte. Mit dem zurückweichenden Gletscher verschwand dieser See und es bildete sich 2010 weiter südlich ein viel größerer See. Zuerst unauffällig, vergrößerte er sich Jahr für Jahr und erreichte 2021 eine Länge von 100 m. 2023 hatte er bereits einen Durchmesser von 140 m. Sein Abfluss erfolgt ebenfalls durch eine Schwinde. Der Seespiegel bleibt aber weitgehend stabil.
Berücksichtigt man im Luftbild als Messpunkte die sichtbaren Moränen, Schotterflächen, Erosionsflächen, Vegetationsgrenzen und den Gjaidsteinsattel, so erreichte die max. Fläche des Schladminger Gletschers mit Einbeziehung der Gjaidsteinosthänge (ohne Berücksichtigung der Horizontalprojektion) 1850 annähernd 3 km². Der Umfang betrug etwa 9 km. (Quelle: Orthofoto, DORIS-Intermap des Landes Oberösterreich, 2015.)
Friedrich Simony (1895, 137) gibt für den Schladminger Gletscher für die Zeit um 1880 eine Fläche von 199 ha an. Erik Amberger/Erwin Wilthum errechneten 1951 für den Schladminger Gletscher folgende Ausdehnungen: 1856/225 ha, 1872/199 ha, 1899/180 ha, 1928/125 ha, 1934/97 ha, 1951/81 ha. Das entspricht einen Flächenverlust von 64% zwischen 1856 und 1951.
2022 weist der Schladminger Gletscher eine Fläche von nur noch annähernd 0,60 km² auf. Das entspricht etwa einem Fünftel der ursprünglichen Fläche. Der Umfang beträgt 3,6 km (Orthofoto, DORIS-Intermap des Landes Oberösterreich, 2015). Der Eismassenverlust ist als fundamentaler Wert zu betrachten. Da nicht nur vier Fünftel an Gletscherfläche verloren gegangen sind, sondern auch vom verbleibenden Fünftel etwa die Hälfte bereits abgeschmolzen ist, kann man lediglich von einem verbleibenden Zehntel der Eismasse von 1850 ausgehen. Wegen der fehlenden Werte zu den Eishöhen bzw. mangels der dazu notwendigen verlässlichen Profile sind diese Angaben als Überschlagsrechnungen zu werten. Wesentlich für die Abnahme der Gletschermasse auf unseren Karst- und Kargletschern ist die Abnahme der vertikalen Eishöhe und nicht der Längenrückgang eines Gletschers. Mit Eishöhenprofilen kann die Massenbilanz genauer berechnet werden. Der Hallstätter Gletscher verlor seit 1850 ungefähr die Hälfte seiner Fläche und drei Viertel seiner Masse. Dennoch kann vermutet werden, dass sich durch den Rückzug auf größere Höhen und die dort herrschenden tieferen Temperaturen der Längenrückzug und der Eismassenverlust verlangsamen werden. Bei Radartiefenmessungen auf dem Schladminger Gletscher von 2007, die der Bewirtschafter der Gletscher in Auftrag gegeben hatte, wurden immerhin Tiefen bis zu 130 m erreicht. Falls diese stimmen (man sollte diesen Messungen Ungenauigkeiten zugestehen, da am unteren Gletscherrand angegebene Tiefen von bis zu 50 m inzwischen eisfrei oder beinahe eisfrei geworden sind), wird der Schladminger Gletscher möglicherweise noch in 30 Jahren als kleiner toter Eiskörper in einer Karstgrube an einen Gletscher erinnern.
Der vom Koppenkarstein herabgestürzte Sprengschotter vom Bau der Militärstation Anfang der 1970er-Jahre hat 2014 das Gletscherende erreicht. Zwischen Felswand und Schotterkegel entstand in den vergangenen 51 Jahren ein Abstand von 260 m. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Schuttkegel erst an einer flacheren Stelle auf dem Gletscher bildete und nicht gleich an der sehr steilen Wandzone. Zusammenfassend kann im letzten Jahrzehnt eine verstärkte Abnahme der Eismasse festgestellt werden, die mit der derzeitigen wissenschaftlich belegten anthropogen beeinflussten Klimaerwärmung korreliert.
Auf dem etwa 100 m höher gelegenen Gjaidsteinsattel wurden ähnliche Verhältnisse wie bei unseren beiden Messsteinen am Rand des Schladminger Gletschers vorgefunden. 1896 berichtet M. Groller, dass der Grat an der Schneide der beiden benachbarten Gletscher mit einer sehr zerklüfteten und verwitterten Endkuppe (2668 m) unter dem Firn verschwinde. Diese Endkuppe kann nur die Erhebung, auf der heute ein Strommast steht, sein. Die hier 2014 durchgeführte Tachymetermessung ergab ebenfalls die Höhe von 2668 m! In der Gletscherkarte von A. Hübner 1901 reichte das Eis am Gjaidsteinsattel nur noch bis 2649 m. Vom Strommast bis zum 2024 nur noch 15 m (22 m mit künstlicher Aufschüttung für den Gletscherweg) breiten Gletscherdurchgang am Gjaidsteinsattel hat sich der Gletscher um 237 m zurückgezogen (GPS und DORIS-Intermap).
Humusbildung
Eine ausreichende Humusbildung im Gletschervorfeld der Dachsteingletscher für einen Baumbewuchs dürfte mehrere Jahrtausende benötigen. Im 170 Jahre altem Randbereich der Moräne wachsen derzeit nur angepasste Moose und Pionierpflanzen. Von einer nennenswerten Humusbildung kann erst außerhalb des Gletschervorfeldes gesprochen werden. Diese Böden haben sich bereits im Postglazial vor etwa 10.000 Jahren bzw. nach 8200 Jahren gebildet.
Die Denudationsentwicklung des Dachsteinkalks an den eisfrei gewordenen Bankungen und Karstgassen am Rande des Schladminger Gletschers
Die Denudation der aus dem Eis geaperten Karstgassen ist an deren Seitenwänden geringer als auf deren kantengerundeten Graten. Die in diesen Gassen angesammelten Steine liegen auf dem Eis und weisen eine beachtliche Masse auf, die an den Wänden durch das Mitsinken frische Runsen und Kratzer hinterlassen. Die vom Gletschereis frei gewordenen Karstgassen liegen in einem nur leicht geneigten Gelände in einer wilden zerklüfteten Karstlandschaft quer zum Gletscherabfluss. Das einstige in den Karstgassen und Dolinen gestaute Eis konnte dem oberen Gletscherabfluss nicht folgen. Diese Eislager erreichten Höhen bis zu 30 m. Der Denudationsunterschied zu weiter entfernten Klüften und Karstgassen ist hier viel geringer. Zweifellos ist das 2017 frei gewordene Areal viel länger unter einer Eisdecke gelegen als das hinter der Messmarke von 2003. Mit einer Datierung dieses Denudationsspektrums könnten wichtige Daten zu Langzeitständen des Gletschers und zur Klimageschichte der letzten 12.000 Jahre gewonnen werden. Vgl. dazu den Beitrag zur 12.000-jährigen Klimageschichte auf den Seiten der GeoSphere Austria: https://www.zamg.ac.at/cms/de/images/klima/bild_ip-klimawandel/klimavergangenheit/palaeoklima/3-1_2_zeitreise.
Glazialerosion
Die Glazialerosion formte ein postglaziales (nacheiszeitliches), hufeisenförmiges Gletscherbett. So entstand ein Kar mit allen durch die Ablation sichtbar gewordenen Merkmalen eines Gletschers: Stirn- und Seitenmoränen, Schotterablagerungen, erodierten Felsen, einem kleinen Eissee und einem beinahe bewegungslosen, absterbenden Eiskörper. Die Eishöhe dieses Gletscherareals im Jahr 1850 lässt sich an der Nordwand des Koppenkarsteins an dunkel bzw. hell verfärbten Rändern erkennen. Dieser Durchschnittswert wurde nur durch Klimaschwankungen verändert. Die Klimaforschung belegt für die Alpen zwischen 4000 bis 2000 vor Chr. eine Klimaerwärmung um 2° bis 3 °C. In diesem Zeitabschnitt sind unsere Gletscher weitgehend abgeschmolzen (vgl. Das Lexikon zu Glaziologie, Schnee- und Lawinenforschung der Schweiz. Hrsg. v. d. Redaktion Schweizer Lexikon und der Gletscherkommission der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften. Luzern 1993). Die ältesten noch erhaltenen Eisreste in den Karstgassen und Dolinen des Schladminger Gletscherareals könnten jedoch wegen der extremen Nordstaulage älter als 4000 Jahre sein. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Zeit des prähistorischen Klimaoptimums mit der Neolithischen Revolution korreliert. Es ist eine Kulturrevolution und Aufbruchszeit des Ackerbaues und der Viehzucht. Dazu kommt später die Metallverarbeitung von Kupfer und Bronze. Für diese Erneuerung wurden von Asien (bereits ab 8000 v. Chr.) bis Europa riesige Brandrodungen durchgeführt, die sogar noch in den südlich gelegenen Alpen nachweisbar sind (vgl. PATZELT, Gernot: Datierung von Feuerstellen in prähistorischen Hirtenhütten im Waldgrenzbereich ostalpiner Gebirgsgruppen. Praearchos 4/2013, 34, 60-63). Zweifellos haben diese Brandrodungen mit ihren gewaltigen Kohlendioxyd-Emissionen erstmals in der Menschheitsgeschichte eine anthropogene Klimaerwärmung verursacht! Dazu benötigte der neolithische Klimawandel mehrere tausend Jahre. Der aktuelle industriell verursachte Klimawandel hat dagegen in nur 200 Jahren eine solche Klimaerwärmung, die zudem noch weiter fortschreitet, zu Stande gebracht.
Literatur:
ARNBERGER, Erik/WILTHUM, Erwin: Die Gletscher des Dachsteinstockes in Vergangenheit und Gegenwart. In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. 97. Band, Linz 1952, 181-214.PATZELT, Gernot: Die prähistorische Gletscher- und Vegetationsentwicklung im Bereich des Hallstätter Gletschers (Dachsteingruppe). https://www.anisa.at/Hallst%C3%A4tter%20Gletscher,%20Dachsteingruppe_Patzelt_2019.html
REINGRUBER, Klaus: Gletscherrückgang am Beispiel Dachstein. In: bergundsteigen,
100 (2017), 64-66.
REITMAIER, Thomas (HG.): Gletscherarchäologie. Kulturerbe in Zeiten des
Klimawandels. Darmstadt 2021.
SIMONY, Friedrich: Das Dachsteingebiet. Ein geographisches Charakterbild aus den
Österreichischen Nordalpen. Wien 1895. 124-150.
SIMONY, Friedrich: Über die Schwankungen in der räumlichen Ausdehnung der
Gletscher des Dachsteingebirges während der Periode 1840 - 1884. In:
Mitteilungen der Kais. Königl. Geographischen Gesellschaft in Wien. Band XXVIII,
1885, 117.
TIEBER, Alexandra/LETTNER, Hebert/HUBMER, Alexander/BOSSEW, Peter/SATTLER,
Birgit: Anreicherung von Radioaktivität in Kryokoniten (Schmutzrinde) auf dem
Hallstätter Gletscher. In: Forschungeberichte der ANISA 2, 2009, 177-180.
MAYER, Karoline; RITTER, Kathariana; FRITZ, Angelika; Architektuzentrum Wien:
Über Tourismus. [Ausstellungskatalog] Wien/Zürich 2014.
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weiterführende Links:
https://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2023.html
https://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2022.html
https://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2021.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2020.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_Dachsteingebirge_2019.html
http://www.anisa.at/Gletscher_Plogging_2018_ANISA.html
http://www.anisa.at/Waldhorngletscher_2018_ANISA.html
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_ Dachsteingebirge_2017.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_ Dachsteingebirge_2016.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2015.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2014.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2013.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2012.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2011.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2010.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2009.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2008.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_2003.htm
http://www.anisa.at/Gletscherzustandsbericht_1999.htm
Dachstein-Chronologie: Dachstein Chronologie.htm